Das naturale Limit (III)

Im dritten und letzten Teil dieser Serie gebe ich meine persönliche Einschätzung zu diesem Thema nach über 20 Jahren naturalem Training.

 

 

Meine persönliche Einschätzung

 

 

Wie ich eingangs schon erwähnt hatte, hat mich die Antwort auf die Frage nach dem naturalen Limit zu Beginn meiner Trainingskarriere auch selbst stark interessiert. Und obwohl dies im Laufe der Jahre für mich persönlich immer mehr an Bedeutung verloren hat, weil ich irgendwann ein recht klares Bild davon hatte, wo für mich persönlich das Ende der Fahnenstange in etwa liegen wird, bilde ich mir doch ein, der Antwort inzwischen deutlich näher zu sein als mit Anfang 20.

 

Mittlerweile bin ich 40 und könnte der Vater vieler heutiger Trainingsbeginner sein (und wenn man berücksichtigt, wie ich meine Jugend verlebt habe, bin ich das in vielen Fällen wahrscheinlich auch). In meiner Trainingskarriere habe ich so manches gesehen, so manche Erfahrung gemacht, unzählige Athleten kennengelernt und daraus meine eigene Meinung gebildet, die ich nun mit euch teilen möchte.

 

Zunächst einmal gilt es anzumerken, dass das Potential Muskeln aufzubauen, letztlich ebenso von der Genetik bestimmt wird wie die Körpergröße, Kraft oder Körperbehaarung. Und wenn man bedenkt, wie weit das Spektrum allein in diesen Bereichen reicht, kann man sich auch vorstellen dass auch in Sachen Hypertrophie eine große Spannweite vorliegt und es auch hier extreme Ausreißer geben muss.

 

Menschen sind nun mal unterschiedlich und auch wenn der durchschnittliche Mann in unseren Breitengraden etwas unter 1,80 m groß ist, gibt es eben auch Exemplare die deutlich über 2 m groß werden, während andere eher im Bereich von 1,60 liegen.

 

Da es erfahrungsgemäß auch in Sachen Muskelaufbau erhebliche individuelle Unterschiede gibt, ist davon auszugehen, dass die besten Nattys der Welt, also die mit der „1 in 1 Million“-Genetik, vermutlich so unfassbar brutal aussehen, dass Ihnen niemand ihren Naturalstatus abnimmt. Dazu zählen dann im Grunde auch die wenigen Individuen mit einem Myostatin-Defekt. Vermutlich würde auch ich Ihnen nicht glauben, weil es eben viele Gründe gibt anzunehmen, dass jemand lügt um sich selbst besser darzustellen oder aus Gründen der Vermarktung.

 

Wenn man bedenkt, wie klein die Testgruppe für die ursprüngliche FFMI-Studie war und dass selbst in dieser Teilnehmer an der 25er-Marke gekratzt bzw. diese sogar überstiegen haben, kann man jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Athleten mit herausragender Genetik diesen Wert auch tatsächlich übersteigen können, aller berechtigten Kritik am Studiendesign zum Trotz.

 

Und wenn man sich dann vor Augen führt, wie ein Bodybuilder mit diesen Werten aussieht, dann kann man die Frage, ob man auch natural außerordentlich muskulös aussehen kann, eindeutig bejahen. Hinzu kommt, dass hier wie erwähnt von einer wettkampfnahen Form ausgegangen wird. Nattys neigen aber dazu im Rahmen einer WK-Diät deutlich mehr Muskeln abzuwerfen als ein unterstützter Bodybuilder. Woraus folgt, dass diese Personen mit ein wenig mehr Körperfett sogar noch deutlich massiver wirken dürften.

 

Ich habe selbst in mein meiner Trainingskarriere so manche Nattys kennengelernt, die ein unfassbares Potential für den Aufbau von Muskelmasse hatten. Allein in meinem überschaubaren Freundekreis gibt es immerhin zwei Kerle, die eine Hantel nur schief ansehen müssen und schon platzen die Ärmel Ihrer Shirts. Aber beide haben den Sport eher nebenbei betrieben und hatten kein Interesse am Wettkampfsport, weil Sie entweder hauptsächlich in anderen Sportarten aktiv waren oder weil Sie schlicht keine Lust auf eine Vorbereitung mit den damit verbundenen Entbehrungen hatten.

 

Monatelang auf alle möglichen Annehmlichkeiten zu verzichten um dann mit brauner Farbe angemalt im Slip auf einer Bühne zu stehen ist nicht jedermanns Sache, zumal es zumindest im Amateurbereich außer einem Pokal im Materialwert von 20 € und eventuell einem Beutel Whey nicht viel zu holen gibt. Aber das bedeutet eben auch, dass sie ihr Potenzial in Sachen Muskelaufbau nie vollumfänglich ausgeschöpft haben. Und wenn es bereits in meinem engeren Umfeld solche Typen gibt, ist davon auszugehen, dass es noch unzählige andere wie sie geben muss. Wenn all diese Wunderkinder in Sachen Training und Ernährung durchziehen würden, bin ich überzeugt, dass wir noch ganz andere Kaliber auf den Bühnen der Naturalverbände sehen würden.

 

Und da dieser Einwand sicher kommen wird und auch eine gewisse Berechtigung hat: Nein, ich kann auch bei meinen Freunden nicht hieb- und stichfest beweisen, dass diese wirklich natural sind und ja, die könnten mich auch einfach angelogen haben. Und auch wenn wir befreundet sind, so nah, dass ich das Volumen ihrer Hoden regelmäßig vermessen würde stehen wir uns dann doch nicht. Aber wenn einem jemand unverblümt von erotischen Abenteuern erzählt, bei denen größere Mengen MDMA und  Haushaltsgeräte eine Rolle spielen, halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass derjenige dann ausgerechnet beim Thema Anabolika die Grenze für seine Offenheit zieht.

 

Aber ich verstehe, vielen wird das zu abstrakt sein, ihr wollt was Konkreteres, ein Bild vor Augen. Bisher habe ich es in diesem Artikel stets vermieden Namen zu nennen (abgesehen von Mike O´Hearn aber der liest eher keine Artikel auf der Lounge).

 

Einmal weil ich niemand ohne Beweise etwas unterstellen will und außerdem, weil das unter Umständen sogar rechtliche Probleme nach sich ziehen könnte. Da ich den nun genannten aber eben explizit nichts unterstelle, sondern im Gegenteil glaube, dass diese Personen tatsächlich natural sind oder zumindest sein könnten, liefere ich nun tatsächlich ein paar Beispiele für herausragend gebaute Individuen, denen ich den Naturalstatus abkaufe.

 

Natürlich muss ich erwähnen, dass es sich lediglich um meine persönliche Einschätzung handelt und ich dementsprechend auch falsch liegen kann. Ich überwache diese Leute nicht 24/7 und zapfe ihnen auch nicht regelmäßig Blut und Urin ab um diese dann im Labor untersuchen zu lassen. Außerdem ist mir auch bewusst, dass ich für diese Einstufung auch eine Menge Spott ertragen werden muss und einige mich als naiv belächeln werden. Aber was tut man nicht alles für die Leserschaft.

 

 

Was ist natural machbar? Ein gutes Beispiel wäre User Piotr…

 

 

 

Aus dem deutschsprachigen Raum fallen mir zum Stichwort herausregende Natural-Bodybuilder die Namen Brosep und Daniel Kubik ein. Beide sehen zweifellos bombastisch aus und manch einer wird selbst mit grammweise Stoff nicht aussehen wie die beiden.

 

Aber allein das jemand einen sehr starken Körper hat, ist erstmal per se kein Beweis für eventuellen Steroidkonsum, sofern keine anderen Anzeichen vorliegen. Man muss eben nicht zwingend auf Stoff sein, um gut auszusehen, ebenso wie man nicht natural sein muss um scheiße auszusehen. Und bei den beiden ist es so, dass sie rein optisch erstmal von einer unfassbar guten Genetik im Armbereich profitieren. Und dicke Arme stechen einfach ins Auge.

 

Generell gehören die Arme zu den Muskelgruppen, die bei entsprechender Veranlagung auch bei naturalen Athleten gut wachsen. Auch der Rest des Körpers ist bei beiden sehr gut ausgebildet aber eben nicht so freakig, dass man zwangsläufig von Stoff ausgehen müsste. Wären die beiden auf Stoff, sollte man erwarten, dass bei ihrer Genetik jedes Körperteil extrem ausgeprägt wäre. Beide sind auch in Sachen FFMI zwar am oberen Ende der Skala angesiedelt, aber noch in einem Bereich, der bei entsprechenden Voraussetzungen durchaus machbar ist (ca. Körpergröße -95). Mit halbwegs solider Genetik werden die meisten guten Naturalathleten in Wettkampfform ein Körpergewicht von in etwa Körpergröße minus 100 landen, geringfügige Abweichungen sind aber durchaus im Rahmen des Möglichen.

 

Beide weisen auch eine für gute Nattys typische Entwicklung auf, das heißt Sie haben am Anfang Ihrer Karriere sehr schnell Muskulatur aufgebaut, das Wachstum hat sich aber anschließend deutlich verlangsamt. Dass sie sich optisch trotzdem noch weiter verbessern konnten, liegt eher an einer Steigerung der Muskelqualität, der Tatsache dass auch geringe Zuwächse bei sehr fortgeschrittenen Athleten optisch einen großen Unterschied machen können und dass ihre jeweiligen Wettkampfvorbereitungen aufgrund der Erfahrung immer effizienter wurden.

 

Zu guter Letzt kommt man auch nicht umhin anzumerken, dass die beiden auch genau wissen, wie sie sich präsentieren müssen und welche Fotos sie veröffentlichen. Wenn man eine gute Kamera hat und weiß, wie man mit Winkel, Bildausschnitt, Pump und Belichtung umgeht, sieht man auf Bildern auch nochmal deutlich beeindruckender aus.

 

Falls sich jemand wundert, warum ich Patrick Teutsch nicht aufgeführt habe bzw. das bereits als Urteil meinerseits wertet: Ich hatte das Glück, von Patrick gecoacht zu werden und nehme es ihm absolut ab, dass er tatsächlich natural ist. Allerdings ist er genetisch ein derartiger Freak, dass ich ihn hier nicht als Beispiel für eine natural erreichbare Physik aufführen möchte, weil dieses Level einfach für 99,999999% aller Trainierenden unerreichbar ist. Das nur der Vollständigkeit halber.

 

Da ich diese kaum verfolge, nenne ich keine internationalen Fitnessstars allerdings könnte ich mir gut vorstellen, dass die beiden Schauspieler Henry Cavill und Chris Evans natural sein könnten.

 

Beide haben nicht plötzlich für eine bestimmte Rolle massiv aufgebaut sondern waren eigentlich in Ihrer gesamten Karriere athletisch gebaut. Beide sind in ihren physisch einprägsamsten Rollen auch nicht extrem trocken unterwegs, sondern eher im Bereich von 12 bis 15 % KFA, was es leichter macht Muskelmasse zu halten.

 

Und natürlich sehen die in ihren oberkörperfreien Szenen außerordentlich gut aus. Aber dabei darf man auch nicht vergessen, dass die Regisseure in Hollywood genau wissen, wie sie ihre Stars in Szene setzen müssen. Auch hier wird mit Pump, Licht, Kamerawinkel, Make up und notfalls sogar Computertricks gearbeitet um ein möglichst gutes Ergebnis bzw. einen Wow-Effekt zu erzielen.

 

Natürlich könnte man auch weitere Namen aufführen und wie auch bei den bereits genannten kann man bei vielen Athleten trefflich über deren Naturalstatus diskutieren, weshalb sich unser Thread zu diesem Thema auch nach wie vor so großer Beliebtheit erfreut. Aber ich denke ich konnte mit diesen Beispielen einen Eindruck vermitteln, was ich persönlich aufgrund meiner Erfahrung für natural machbar halte, wenn man die entsprechenden genetischen Voraussetzungen dafür mitbringt. Auch wenn andere das sicher anders sehen werden.

 

Ich kann letztlich nur für mich selbst garantieren, dass mein Körper wirklich zu 100 % dopingfrei aufgebaut wurde. Und ich kann zumindest vermelden, dass meine aktuelle Form deutlich meine eigenen Erwartungen, oder sollte ich sagen Befürchtungen, zu Anfang meiner Trainingslaufbahn übertroffen hat und bei aller Bescheidenheit schon recht passabel ist, auch wenn ich mit den Elite-Nattys freilich nicht mithalten kann.

 

Hierzu eine kurze Anekdote: Ich habe einen Youtube-Kanal auf dem ich Videos aus meinen bisherigen Vorbereitungen hochgeladen habe damit ich sie in meinem Log verlinken konnte. Der erste Kommentar, den ich für eines der dort hochgeladenen Posingvideos bekommen habe, besteht lediglich aus 3 Spritzen-Emojis. Dass ich es offenbar geschafft habe für Dritte auszusehen, als wäre ich auf Stoff, ist eines der schönsten Komplimente, die ich in meiner Trainingskarriere je bekommen habe und Beweis, dass man es auch mit nicht herausragenden Voraussetzungen schaffen kann, nach Bodybuilding auszusehen ohne nachhelfen zu müssen.

 

 

…oder User Jay

 

 

Abschließende Worte

 

Eine oftmals zurecht geäußerte Kritik an der ganzen Diskussion zum naturalen Limit besteht darin, dass es für den einzelnen letztlich völlig unerheblich ist, was bei perfekten genetischen Voraussetzungen machbar ist.

 

Auch wenn irgendein Kerl aus einem abgelegenen afrikanischen Dorf vielleicht das Zeug hat, sich natural die Pro Card der IFBB zu holen heißt das eben noch lange nicht, dass dies auch für einen selbst realistisch ist.

 

Aber ich hoffe, dass ich zumindest vermitteln konnte, dass das Potential zum Muskelaufbau auch ohne Anabolika oftmals sträflich unterschätzt wird und man nicht zwingend zu diesen Mitteln greifen muss, um einen beeindruckenden und ästhetischen Körper aufzubauen. Ausgehend von der breiten Masse (der Bevölkerung, nicht die des Sportlers) wird der Körper eines guten Naturalathleten dem einen oder anderen sogar schon als zu muskulös erscheinen.

 

Wenn das persönliche Ziel allerdings darin besteht mit 120 Kilo und dem Fettgehalt einer Reiswaffel auf der Olympia-Bühne zu stehen, dann wird man wiederum nicht darum herumkommen, chemisch nachzuhelfen. Irgendwann ist die Grenze des Machbaren dann eben doch erreicht. Und in diesen wenigen Fällen halte ich persönlich es auch für vertretbar mit „Unterstützung“ zu arbeiten, wenn man die Möglichkeiten natürlichen Aufbaus maximal ausgereizt hat. Zumindest sofern man sich der damit einhergehenden Risiken und Nebenwirkungen bewusst ist und sich ausreichend informiert hat, um diese wenigstens zu minimieren.

 

Wie bereits mehrfach betont, ich habe nichts gegen Stoffer per se. Aber in einer Zeit, in der ein muskulöser Körper mehr denn je zu einem Statussymbol geworden ist, alles immer schnell gehen muss und man überall mit vermeintlichen Abkürzungen und Wundermitteln bombardiert wird, greifen viel zu viele vor allem junge Leute zu gesundheitlich bedenklichen Mitteln um letztlich ein Ergebnis zu erzielen, das auch natural durchaus machbar gewesen wäre, wenn man nur genug Disziplin, Arbeit und vor allem Zeit investiert hätte.

 

Dieser vermeintlich bequemere Weg nötigt mir nicht nur weniger Respekt ab, viele sind sich auch nicht bewusst, welchen Preis sie letztlich dafür zu zahlen haben, weil sie nicht in der Lage sind langfristig zu denken.

 

Zu früh mit Steroiden anzufangen ist letztlich so, als würde man einem Fahranfänger einen Ferrari geben: im besten Fall hat er einfach nicht die nötigen Skills, um die Power auch nur annähernd auf die Straße zu bringen und im schlimmsten Fall landet er im nächsten Baum, weil er ihn nicht kontrollieren kann.

 

Aber auch wenn man genetisch nicht das große Los gezogen hat, nie den Körperbau der naturalen Instagram-Prachtknaben erreichen wird und vor Trainingsbeginn aussieht, also ob man ohne steckenzubleiben durch ein Schlüsselloch springen könnte, so kann man in jedem Fall durch Training zu 100% besser aussehen als zuvor, auch ohne Steroide.

 

Um sich einen weit überdurchschnittlichen Körper zu erarbeiten, den man mit Stolz präsentieren kann wird es auf jeden Fall reichen. Versprochen!

 

 

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