Lange Zeit hieß es, der Körper könnte pro Mahlzeit nur maximal 30 g Protein aufnehmen, alles darüber hinaus wäre “verschwendet”. Daraus abgeleitet ergab sich dann auch die in der Kraftsportszene übliche Empfehlung, seinen täglichen Proteinkonsum auf möglichst viele Mahlzeiten zu verteilen, um so sicherzustellen, dass man seinen Proteinbedarf auch wirklich deckt. Aber ist die Grenze von 30 g überhaupt korrekt oder handelt es sich dabei um einen Mythos? Wie viel Protein kann man wirklich auf einmal aufnehmen oder verwerten?
All das werden wir in diesem Artikel genau unter die Lupe nehmen!
Eine kurze Einführung
Bevor wir uns dem aktuellen Stand der Wissenschaft widmen, sollten wir zunächst einmal die Begriffe „Verwertung“ und „Verschwendung“ in diesem Zusammenhang klären. Denn der Körper ist grundsätzlich erst einmal ein außerordentlich effizienter Organismus und dementsprechend liegt es ihm fern, Nährstoffe einfach zu verschwenden.
Mit „Verwertung“ ist in diesem Kontext also nicht die Verwertung von Protein im Allgemeinen gemeint, sondern die Verwendung des aufgenommen Nahrungsproteins für die Proteinsynthese, also die Erstellung neuen Zellmaterials aus Proteinen. Ein Teil davon ist die Erschaffung neuer Muskulatur und wenn Pumper von der Proteinverwertung sprechen, dann meinen sie meist genau das.
Mit „Verschwendung“ ist in diesem Fall auch die Oxidation gemeint (1). Oxidation bedeutet aber nicht, dass die restlichen Proteine einfach verdampfen oder ungenutzt ausgeschieden werden, sondern lediglich, dass diese durch eine Veränderung der molekularen Struktur nicht mehr für die Proteinsynthese zur Verfügung stehen. Zur Energiegewinnung bzw. Umwandlung (bei der jeweils ebenfalls Energie verwendet wird) zu Kohlenhydraten – und unter Umständen später auch zu Fett – steht das oxidierte Protein aber nach wie vor zur Verfügung. Unser Gastautor Vincent behandelt diesen Prozess in seinem Artikel zum Zählen der Kalorien. Insofern wird nicht wirklich etwas verschwendet.
Woher kommt die Theorie zur maximalen Proteinaufnahme?
Zunächst einmal muss man sagen, dass Oxidation von Protein tatsächlich stattfindet, es stimmt also, dass nicht alles aufgenommene Protein für den Muskelaufbau zur Verfügung steht. Dieser Prozess erfolgt sogar, wenn die Proteinsynthese noch nicht maximiert wurde. Aber wie kommt es zu der These, dass man nur 30 g Protein aufnehmen könne?
Eine der Ursprünge dieser Aussage liegt wohl an der Studie von Areta und Kollegen aus dem Jahre 2013 (2). In dieser Studie führten 24 Männer ein Training am Beinstrecker aus und nahmen anschließend über den Zeitraum von 12 Stunden insgesamt 80 g Protein in Form von Whey zu sich. Eine Gruppe tat dies, indem sie alle 1,5 Stunden einen Shake mit 10 g Protein zu sich nahm (insgesamt 8x), eine zweite Gruppe, indem sie alle 3 Stunden 20 g zu sich nahm (insgesamt 4x), und eine dritte Gruppe nahm alle 6 Stunden 40 g Whey zu sich (2x). Anschließend wurden zu verschiedenen Zeitpunkten die Marker für Proteinsynthese im Blut gemessen. Das Ergebnis war, dass die Proteinsynthese bei der Gruppe, die vier mal 20 g Protein konsumierte, am besten ausfiel.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch Witard und Kollegen in ihrer Studie von 2014 (3). In dieser absolvierten die Probanden ein Training (bestehend aus der Beinpresse und dem Beinstrecker) und konsumierten anschließend entweder 0, 10, 20 oder 40 g Whey-Protein. Auch hier war das Level der Proteinsynthese bereits bei 20 g Protein maximiert und es konnte kein Mehrwert durch den Konsum der doppelten Menge festgestellt werden. Auch bei zwei weiteren Studien (4, 5) waren die Resultate vergleichbar mit den Ergebnissen der beiden aufgeführten Arbeiten.
Somit gab es insgesamt 4 Studien mit ähnlichem Design, die alle zu dem Schluss kamen, dass eine Gabe von 20 g (im Falle der Studie von Churchward-Venne 30 g) ausreichen würde, um die Porteinsynthese zu maximieren und eine höhere Proteinmenge dahingehend keinen Benefit bieten würde. Diese bilden dann auch die Grundlage für die These, dass 30 g Protein das Maximum darstellen würden, was der Körper auf einmal verwerten könne. Wobei es streng genommen sogar nur 20 g sein sollten, weil nur in einer dieser Studien eine höhere Menge als ideal gewertet wurde und das auch nur, weil 20 g in dieser Studie gar nicht vorkamen.
Die Theorie zur Proteinverwertung bekommt Brüche…
Wenn man die Plausibilität dieser Ergebnisse jedoch hinterfragt, so werden schnell erste Zweifel wach. Zunächst einmal macht diese These schon aus rein logischen Gründen nur bedingt Sinn. So haben wir zwar bereits geklärt, dass auch der Rest des Proteins nicht verschwendet wird. Und wenn man bedenkt, dass Proteinsynthese eben nicht nur den Aufbau von Muskulatur bedeutet, sondern auch deutlich wichtigere Prozesse wie Zellerneuerung, Wundheilung, Aufbau und Erhalt des Gehirns und so weiter umfasst, dann scheint es aus evolutionärer Sicht unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse der Studien vollumfänglich zutreffend sein können. In der Frühzeit werden Menschen nicht in der Lage gewesen sein, regelmäßig Protein zu konsumieren, sondern werden, wenn mal ein Tier erlegt wurde, eher auf einen Schlag eine große Menge Eiweiß konsumiert haben, gefolgt von einem längeren Zeitraum, in dem dieses nur in geringen Mengen (z. B. über Nüsse) zur Verfügung stand. Dass der Körper bei diesen seltenen Proteinmahlzeiten also wirklich nur einen Bruchteil zur Proteinsynthese verwerten kann, erscheint also unlogisch.
Auch am Studiendesign lassen sich einige Punkte kritisieren. Wenn man sich z. B. anschaut, wie viel Protein man wirklich konsumieren sollte, um maximal Muskeln aufzubauen, wie in unserem Artikel zum Proteinbedarf beschrieben, dann fällt zudem auf, dass die Gesamtmengen in diesen Studien allgemein doch recht gering ausgefallen sind, auch wenn nicht bekannt ist, wie viel Protein die Teilnehmer über ihre sonstige Ernährung gedeckt hatten.
Zudem war das Trainingspensum der Probanden in diesen Studien recht gering und beschränkte sich meist auf ein bis zwei Übungen. Somit liegt nahe, dass die Proteinsynthese nur deshalb bereits früh maximiert war, weil einfach kein größerer Bedarf bestand, diese zu erhöhen.
Diesem Punkt wurde in der Studie von McNaughton und Kollegen aus dem Jahre 2016 Rechnung getragen (6). Im Rahmen dieser Studie absolvierten die 30 Teilnehmer ein Ganzkörpertraining, bestehend aus 5 verschiedenen Übungen mit jeweils 3 Sätzen. Anschließend erhielten die Probanden 20 oder 40 g Whey-Protein und tatsächlich fiel dieses Mal die Proteinsynthese bei der Gabe von 40 g besser aus als bei 20 g, wenn auch nicht gravierend.
Die aktuelle Studienlage zur Proteinaufnahme
Den endgültigen Todesstoß erhielt die Theorie aber durch die neueste Studie zu diesem Thema. Trommelen und Kollegen untersuchten im Rahmen Ihrer Arbeit von 2023 (7), ob die bisherigen Annahmen zur Proteinaufnahme wirklich der Realität entsprechen.
Auch in dieser Studie führten die 36 Teilnehmer ein Ganzkörper-Workout aus. Anschließend erhielten diese eine einzelne Gabe von 0 (Placebo), 25 oder 100 g (!) Protein Form von Milcheiweiß. Über die folgenden 12 Stunden wurde die Proteinsynthese gemessen. Dabei zeigte sich, dass nicht nur die Proteinsynthese generell bei der größten Dosis in ihrem Peak deutlich höher ausfiel, sondern dass die Werte auch im weiteren Verlauf der Messung über dem Niveau der Vergleichsgruppen lagen.
Ebenfalls gemessen wurde die Oxidationsrate des Proteins. Und diese war bei der Gruppe, die 100 g Protein zu sich genommen hatte, zwar ebenfalls höher als bei den Vergleichsgruppen, die Unterschiede waren aber nicht signifikant. Dass ein Großteil des zugeführten Proteins oxidiert wäre, konnte jedenfalls keineswegs festgestellt werden.
Wenn man besonders kritisch sein möchte, könnte man an dieser Stelle natürlich kritisieren, dass in dieser Studie Milcheiweiß anstatt Whey-Protein verwendet wurde. Milcheiweiß besteht zu 20 % aus Whey und zu 80 % aus Casein, welches langsamer verdaut bzw. aufgenommen wird als Whey, was einen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt haben könnte. Auf diesen Punkt gehen die Autoren im Discussion-Teil ihrer Arbeit auch explizit ein.
Sie argumentieren, dass sie Milcheiweiß gewählt haben, weil dies das am meisten verbreitete Protein in der westlichen Welt sei. Dass die Wahl dieser Art von Protein einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis haben könnte, bezweifeln sie und verweisen darauf, dass in vorherigen Studien schnellverdauliche Proteine direkt nach den Mahlzeiten nur geringe Oxidationsraten (3, 5) aufwiesen, also nicht überproportional oxidieren und anschließend nicht mehr zur Verfügung stehen würden und dass sich die Proteinsynthese von Whey und Casein in einem früheren Versuch nicht unterschieden hätte (8).
Insgesamt muss man natürlich immer vorsichtig sein, aus einer einzelnen Studie endgültige Schlüsse zu ziehen. Aber die Studie von Trommelen ist deutlich umfangreicher und das Design erheblich ausgereifter als in den anderen Studien, sodass man an diesem Punkt durchaus behaupten kann, die These, der Körper könne in einer einzelnen Mahlzeit maximal 25 bis 30 g Protein verwerten, sei widerlegt. Stattdessen steht ein Großteil des aufgenommenen Proteins auch tatsächlich zur Proteinsynthese zur Verfügung und diese wird – abhängig von der Dosis – auch verlängert.
Und was ist mit dem Proteintiming?
Wie eingangs besprochen, hatten die bisherigen Studien auch einen Einfluss auf die Einnahmeempfehlungen von Protein, nicht nur was die Menge, sondern auch was die Frequenz anbelangt. Um die Gesamtmenge an erforderlichem Protein zum effektiven Muskelaufbau im Verlauf eines Tages zu erreichen und die Proteinsynthese konstant aufrechtzuerhalten, wurde empfohlen, die Proteinzufuhr in kleinere Portionen zu unterteilen und diese gleichmäßig über den Tag zu verteilen.
Dem widerspricht aber bereits, dass bei bisherigen Analysen keine Unterschiede in Sachen Muskelaufbau bei Ernährungsformen mit einer zeitlich befristeten Nahrungsaufnahme wie Intermittent Fasting festgestellt werden konnten (9). Und die Ergebnisse der Studie von Trommelen legen ebenfalls den Schluss nahe, dass Proteintiming keine so große Rolle spielt wie bisher angenommen.
Aber heißt das, du kannst auch einfach 200 g Protein auf einmal zu dir nehmen und den Rest des Tages fasten? Na ja, ganz so ist es dann wohl auch nicht. Abgesehen davon, dass dieses Vorgehen aufgrund der schieren Größe der Mahlzeit wenig praktikabel wäre, gibt es auch andere Gründe, warum es vermutlich nicht ideal wäre. Wenn man sich die Ergebnisse der Trommelen-Studie anschaut, sieht man, dass sich die Proteinsynthese durch die Aufnahme einer großen Portion Protein zwar erheblich verlängern ließ, sich die Werte aber im weiteren Verlauf annäherten und bei ca. 12 Stunden wieder auf dem gleichen Niveau waren. Ob sich die Proteinsynthese durch noch mehr Protein noch weiter verlängern ließe, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhergesagt werden.
Darüber hinaus gibt es durchaus auch Studien, die für eine gleichmäßigere Verteilung der Proteinzufuhr sprechen. Yasuda und Kollegen verglichen etwa die Verteilung von Protein auf 3 Mahlzeiten mit verschiedenen Gewichtungen (23/32/32 gegenüber 8/30/55 g Protein je Mahlzeit) und den daraus resultierenden Muskelaufbau über 12 Wochen. Da bei der zweiten Gruppe aber die erste Mahlzeit mit nur 8 g Protein zu gering war, um einen wirklichen Effekt zu erzielen, wurden in dieser Studie de facto die Proteinverteilung von 2 und 3 Mahlzeiten verglichen. In dieser Studie erzielten die Probanden mit 3 proteinreichen Mahlzeiten signifikant bessere Ergebnisse in Sachen Muskelaufbau als die Vergleichsgruppe. Interessant ist das in diesem Kontext auch deshalb, weil die Gruppe mit den 2 proteinreichen Mahlzeiten auch eine Dosis zu sich genommen hatten, die mit 55 g deutlich über dem bisher angenommenen Grenzwert von ca. 20 g lag. Die Gesamtproteinmenge war dabei weitestgehend identisch bzw. bei der Gruppe mit 3 Mahlzeiten sogar etwas geringer.
In Studien, bei denen eine Frequenz von 3 Proteingaben mit einer noch höheren Frequenz (3 gegenüber 4-6) verglichen wurden (11, 12), konnten wiederum nur sehr geringe, nicht signifikante Unterschiede festgestellt werden.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass es Hinweise dahingehend gibt, dass eine Verteilung der Proteinaufnahme durchaus Vorteile hat, die Unterschiede aber gering sind und mit einer weiteren Erhöhung der Frequenz weiter abnehmen.
Fazit: Wie viel Protein kann der Körper auf einmal aufnehmen?
Spätestens mit dem Erscheinen der Trommelen-Studie zu diesem Thema kann man davon ausgehen, dass die Annahme, man könne nicht mehr als 20 bis 30 g Eiweiß auf einmal verwerten, nach derzeitigem Kenntnisstand als überholt betrachtet werden kann. Zumal es auch schon davor deutliche Indizien gab, die gegen diese These sprechen wie beispielsweise der Muskelaufbau bei Ernährungsformen mit zeitlich begrenzter Nahrungsaufnahme (Intermittent Fasting).
Dies wirkt sich auch direkt auf die Empfehlungen zur Mahlzeitenfrequenz bzw. Proteinverteilung aus. So erscheint es nicht erforderlich, die eigene Proteinaufnahme auf möglichst viele kleinere Gaben über den Tag zu verteilen, sondern ermöglicht eine wesentlich flexiblere Gestaltung. Zwar gibt es Hinweise, dass eine Verteilung auf mehrere Portionen grundsätzlich Vorteile in Sachen Muskelaufbau bietet, diese sind aber gering und nehmen mit zunehmender Frequenz weiter ab.
Wenn du also unbedingt auch das allerletzte Prozent in Sachen Muskelaufbau aus deiner Ernährung herausholen möchtest, solltest du weiterhin mindestens 3 proteinreiche Mahlzeiten am Tag zu dir nehmen. Immerhin macht es dieses Vorgehen für die meisten auch etwas leichter, den täglichen Bedarf an Eiweiß zu decken. Wenn du dies aber nicht kannst oder nicht möchtest, kannst du dein Protein auch einfach auf weniger Mahlzeiten verteilen und wirst dadurch kaum Nachteile haben. Es gibt jedenfalls keinen Grund, dir diesbezüglich den Kopf zu zerbrechen.
Generell wird das Thema Nährstofftiming oftmals überbewertet, auch bei anderen Themen wie der Kohlenhydratzufuhr nach dem Training und dem sogenannten „anabolen Fenster“. Wesentlich entscheidender als das Timing ist und bleibt die Gesamtaufnahme von Kalorien und Eiweiß.
Ich hoffe, du konntest aus diesem Artikel wieder etwas mitnehmen. Gerne kannst du uns deine Meinung dazu auch in unserem Forum schreiben!
Quellen:
- Trommelen, van Loon (2021): Assessing the whole-body protein synthetic response to feeding in vivo in human subjects
- Areta et al. (2013): Timing and distribution of protein ingestion during prolonged recovery from resistance exercise alters myofibrillar protein synthesis
- Witard et al. (2014): Myofibrillar muscle protein synthesis rates subsequent to a meal in response to increasing doses of whey protein at rest and after resistance exercise
- Churchward-Venne et al. (2020): Dose-response effects of dietary protein on muscle protein synthesis during recovery from endurance exercise in young men: a double-blind randomized trial
- Moore et al. (2009): Ingested protein dose response of muscle and albumin protein synthesis after resistance exercise in young men
- McNaughton et al. (2016): The response of muscle protein synthesis following whole‐body resistance exercise is greater following 40 g than 20 g of ingested whey protein
- Trommelen et al. (2023): The anabolic response to protein ingestion during recovery from exercise has no upper limit in magnitude and duration in vivo in humans
- Trommelen et al. (2023): Pre-sleep Protein Ingestion Increases Mitochondrial Protein Synthesis Rates During Overnight Recovery from Endurance Exercise: A Randomized Controlled Trial
- Gu et al. (2022): Effects of Intermittent Fasting in Human Compared to a Non-intervention Diet and Caloric Restriction: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials
- Yasuda et al. (2020): Evenly Distributed Protein Intake over 3 Meals Augments Resistance Exercise-Induced Muscle Hypertrophy in Healthy Young Men
- Taguchi et al. (2020): Increasing Meal Frequency in Isoenergetic Conditions Does Not Affect Body Composition Change and Appetite During Weight Gain in Japanese Athletes
- MacKenzie-Shalders et al. (2016): Increasing Protein Distribution Has No Effect on Changes in Lean Mass During a Rugby Preseason