Wie tief sollte eine Kniebeuge sein?

Wenn du ein Video von deiner Kniebeuge in den sozialen Medien veröffentlichst, solltest du tunlichst darauf achten, dass diese auch ordentlich tief ist, ansonsten kannst du mit Kommentaren wie “Zero” oder “No reps were done that day” rechnen. Wenn du also hauptsächlich squattest, um fremde Menschen auf Instagram zu beeindrucken, dann ist eine Ass-to-Grass-Beuge quasi alternativlos. Aber wenn man die Sache mal ganz unvoreingenommen betrachtet, wie tief sollte eine Beuge wirklich sein?

 

Eines gleich mal vorab: Die Ergebnisse werden den einen oder anderen vermutlich stellenweise überraschen! Aber bevor wir versuchen, die Frage nach der richtigen Beugetiefe zu beantworten, müssen wir erst einmal fragen, welches Ziel du mit deiner Kniebeuge überhaupt verfolgst. Denn je nachdem, wie dieses Ziel aussieht, hat das erheblichen Einfluss auf die Frage, wie tief deine Beuge sein sollte…

 

 

Kniebeugen mit dem Schwerpunkt Kraft

Beginnen wir erst einmal mit dem Teilaspekt, der wie bei anderen Themen auch, am leichtesten zu beantworten ist, und zwar Kraft. Vorab sollte man anmerken, dass Kraft immer etwas ist, das spezifisch trainiert werden muss. Im Bezug auf die Tiefe beim Beugen bedeutet das schlicht und einfach, dass man immer in dem Teil einer Bewegung stärker wird, in dem man hauptsächlich trainiert. Das liegt daran, dass durch neuronale Anpassungen das Moment der maximalen Kraftentfaltung verschoben und an die Erfordernisse des Trainings angepasst werden kann.

 

Das zeigt sich auch in den Ergebnissen der Metaanalyse von Milo Wolf und Kollegen aus dem Jahr 2022 (1). In mehreren ausgewerteten Studien (2, 3, 4, 5) wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe führte Half Squats aus, also Kniebeugen bis knapp über parallel oder höher, während die andere Gruppe tiefe Beugen absolvierte. Wenn anschließend die Maximalkraft getestet wurde, dann schnitt die Half Rep-Gruppe besser ab, wenn auch die Maximalkraft in diesem Bewegungsbereich getestet wurde, während die Gruppe, die tiefe Beugen ausgeführt hat, auch bei tiefen Beugen besser abschnitt.

 

Allerdings sollte man erwähnen, dass die Gruppe, die tiefe Beugen abschnitt auch bei halben Beugen nur unwesentlich schlechter abschnitt als die Gruppe, die speziell diesen Teilbereich trainierte. Dafür war die Half Squat-Gruppe aber signifikant schlechter bei den Maximaltests über die volle Range of Motion. Das ist an sich nicht verwunderlich, schließlich durchlief die Gruppe mit der tiefen Beuge im Zuge der Ausführung auch den oberen Teilbereich der Bewegung, während die Half Squatter nie im unteren Bereich der Beuge trainierten. Wurde die Kraft mit einer Methode gemessen, auf die sich keine der beiden Gruppen spezifisch vorbereiten konnte, in diesem Fall isometrischer Widerstand am Beinstrecker, dann schnitten übrigens beide Gruppen nahezu gleich ab.

 

An diesen Ergebnissen kann man jedenfalls gut das Prinzip der Spezifität erkennen. In der Praxis ist Kraftaufbau in der Kniebeuge hauptsächlich für Powerlifter und Gewichtheber interessant. Und für diese beiden Sportarten ist eine tiefe Beuge alternativlos. Für Powerlifter, damit ihre Versuche gültig gegeben werden, und für Gewichtheber, damit sie beim Reißen und Stoßen leichter unter die Stange kommen. Deshalb macht für Athleten aus diesem Bereich eigentlich nur ein Training über die volle Range of Motion Sinn.

 

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang aber die Studie von Bazyler und Kollegen (6). In dieser wurde untersucht, was passiert, wenn man sowohl tiefe als auch halbe Beugen kombiniert und beides trainiert. Interessant war diese Studie auch deshalb, weil die Teilnehmer im Vergleich zu anderen Studien bereits recht fortgeschritten waren (durchschnittliches 1RM ca. 150 kg). Und tatsächlich erzielten die Teilnehmer der Kombi-Gruppe bessere Resultate in Sachen Maximalkraft als die Vergleichsgruppe, die ausschließlich tiefe Beugen trainierte, und zwar sowohl über den vollen Bewegungsspielraum, als auch bei Teilbereichen. Zwar handelt es sich nur um eine einzelne Studie und es gab auch kleinere Schwächen (die Halfsquats etwa waren mit 100 Grad Knieflexion trotzdem noch recht tief), aber trotzdem ist dieses Ergebnis vielversprechend. Eventuell wäre es also einen Versuch wert, sowohl tiefe als auch halbe Beuge zu trainieren, wenn man seine Kraft maximal steigern möchte. Unterstützt wird diese These auch von Studien mit anderen Übungen, bei denen das kombinierte Training verschiedener Teilbereiche einer Bewegung zu mehr Kraftzuwachs führte, als ein ausschließliches Training über die volle Range of Motion (7, 8).

 

Eine Frau führt Kniebeugen mit einer gewissen Tiefe und dem Ziel aus, Kraft aufzubauen.

 

Kniebeugen mit dem Schwerpunkt Hypertrophie

Sofern nicht gerade Kraft das primäre Ziel ist, werden die meisten Kniebeugen ausführen, um ihren Quadrizeps zum Wachsen zu bringen. Wie tief muss man also beugen, um das dieses Ziel zu erreichen?

 

In der Studie von Bloomquist und Kollegen (2) führte eine Gruppe Kniebeugen bis zu einer Knieflexion von 60 Grad aus, während die zweite Gruppe bis zu 120 Grad erreichte (was in etwa einer parallelen Beuge entspricht). Die Gruppe, die tiefer beugte konnte dabei signifikant mehr Muskulatur an den Oberschenkeln aufbauen. Auch andere Studien zum Training des Quadrizeps, die nicht mittels Kniebeugen durchgeführt wurden, kommen jeweils zu dem Ergebnis, dass dieser besser wächst, wenn er über eine größere Range of Motion trainiert wird (8, 9, 10).

 

Heißt das, man muss “ass to grass” beugen, um seine Oberschenkel optimal zu trainieren? Nein! Bei den genannten Studien wurde selten wirklich die volle Range of Motion ausgenutzt und teilweise absolvierten die Gruppen mit der geringeren ROM nur eine sehr geringe Beugung des Kniegelenks. Somit ließ sich schwer ableiten, wo genau der Sweet Spot in Bezug auf das Wachstum des Quadrizeps liegt.

 

Hier kommt die Studie von Kubo und Kollegen ins Spiel (3). In dieser beugten die beiden Gruppen entweder bis zu 90 Grad oder bis 140 Grad, was annähernd einer ass to grass-Beuge entspricht. Und das Ergebnis? Beide Gruppen erzielten die gleichen Zuwächse am Quadrizeps. Das mag viele Verfechter einer tiefen Beuge erst einmal überraschen, denn eine 90° Beuge ist, auch wenn viele das fälschlicherweise glauben, noch nicht einmal annähernd parallel. Also definitiv eine Kniebeuge, die reichlich “Zero”-Kommentare ernten würde. Joel Seedman lächelt gerade irgendwo zufrieden.

 

Und tatsächlich sieht man auch des Öfteren Profibodybuilder die, sofern sie überhaupt Kniebeugen trainieren, diese nicht besonders tief, sondern lediglich Halfsquats ausführen, um Ihre Beine zu trainieren. Und ja, Tom Platz war für seine extrem tiefen Beugen bekannt und sprach sich auch vehement dafür aus, diese so auszuführen, aber Athleten wie Phil Heath, Dennis Wolf oder Big Ramy hatten ebenfalls großartige Quads und führten Squats deutlich flacher aus.

 

ABER: Die Kniebeuge trainiert nicht nur die Quads, sondern zum Beispiel auch den Gluteus und die Adduktoren. Und in diesen Bereichen waren die Ergebnisse eindeutig besser für die Gruppe, die tiefer beugte.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass es wohl reicht, bis 90 Grad zu beugen, wenn man nur seine Oberschenkel aufbauen möchte, aber deutlich tiefer gehen sollte, wenn man seinen gesamten Unterkörper verbessern möchte.

 

Über eine Sache haben wir bisher aber noch gar nicht gesprochen. Bisher ging es nur darum, eine Teilbewegung im oberen Bereich der Kniebeuge mit einer vollen Range of Motion zu vergleichen. In diversen Studien, wie auch in der Metaanalyse von Wolf und Kollegen (1) kommen die Autoren aber zu dem Schluss, dass es eventuell sogar noch besser für die Hypertrophie wäre, einen Muskel ausschließlich in einem Teilbereich zu trainieren, in dem dieser sich in gedehnter Position befindet. Du ahnst es vielleicht: Es geht mal wieder um lengthened Partials…

 

Wäre es also vielleicht sogar noch besser, ausschließlich den unteren Teil der Kniebeuge zu trainieren und das obere Drittel der Bewegung komplett zu skippen? Vermutlich nicht. Zum einen ist dies bei der Kniebeuge ohnehin schon schwerer zu realisieren als bei Übungen wie beispielsweise dem Beinstrecker, weil die Belastung für den unteren Rücken sehr hoch wäre. Zum anderen hat sich in Sachen Trainingswissenschaft hier seit dem Erscheinen dieser Metastudie auch einiges getan. So gibt es inzwischen deutliche Hinweise darauf, dass lengthened Partials nur bei Anfängern zu mehr Hypertrophie führen als ein Training über die volle ROM. Der Grund dafür ist, dass durch den Fokus auf die Dehnung Sarkomere in den Muskelfasern hinzugefügt werde, was dazu führt, dass der distale Teil eines Muskels stärker wächst. Bei Fortgeschrittenen ist das Potenzial für diese Art des Wachstums aber bereits durch das normale Trainings ausgereizt, weshalb bei diesen kein Vorteil durch ein Training mit lengthened Partials festgestellt werden kann. Wenn du mehr dazu wissen willst, empfehle ich dir unseren Artikel zu Stretch und Hypertrophie.

 

Kniebeugen mit dem Schwerpunkt Athletik

Nicht jeder führt Kniebeugen aus, um dickere Oberschenkel zu bekommen oder um zukünftig noch mehr beugen zu können. Die Kniebeuge ist eine der funktionalsten Übungen überhaupt und bietet einen hervorragenden Übertrag für Sportarten, bei denen es auf Explosivität, Sprung- und Schnellkraft ankommt, weshalb auch viele Athleten außerhalb des klassischen Kraftsports sie ausführen. Wie tief sollten diese nun beugen, um den meisten Mehrwert zu generieren?

 

Auch dies wurde anhand der Sprungkraft in den Studien von Bloomquist (2) und Hartmann und Kollegen (5) gemessen. In beiden Studien konnten die Probanden, die tiefere Squats ausführten, ihre Sprungkraft erheblich stärker steigern, als die Teilnehmer, die nur relativ flach beugten. Tatsächlich ist dieses Ergebnis erst einmal überraschend. Wieso? Wie wir bereits im Abschnitt zur Kraft besprochen haben, unterliegt Kraft, und dazu gehört natürlich auch Schnellkraft, dem Prinzip der Spezifität, muss also spezifisch trainiert werden. Wenn man sich aber nun die typische Haltung beim Sprung oder dem Abdrücken aus einem Startblock beim Sprinten anschaut, dann wird hier keine besonders tiefe Beugehaltung eingenommen. Dementsprechend könnte man davon ausgehen, dass hier eher die flachen Beugen im Vorteil wären.

 

Und tatsächlich steht diesen Ergebnissen die Studie von Rhea und Kollegen (4) gegenüber, die zu einem gänzlich anderen Resultat kommt. Hier führten drei Gruppen unterschiedlich tiefe Kniebeugen aus und konnten ihre Sprungkraft, sowie ihren 40-Yard-Sprint stärker verbessern, je flacher (!) sie gebeugt hatten.

 

Wie kann es sein, dass diese Studien so unterschiedliche Ergebnisse produzieren konnten? Dazu muss man sich anschauen, wer die Probanden dieser Studien waren. Während bei Bloomquist und Hartmann explizit nur mit Teilnehmern gearbeitet wurde, die davor mindestens 6 Monate überhaupt keine Kniebeugen oder allgemein Kraftsport ausgeführt hatten, waren die Teilnehmer der Studie von Rhea guttrainierte College-Athleten, die ein 1RM von mindestens anderthalbfachem Körpergewicht hatten.

 

Deshalb ist davon auszugehen, dass Anfänger in Sachen Athletik grundsätzlich mehr von einem Training über die volle Range of Motion profitieren, während Fortgeschrittene spezifischer trainieren sollten. Auch andere Studien zu den Auswirkungen der Range of Motion legen diesen Schluss nahe (11, 12). Da es allerdings bisher nur drei Studien gibt, die direkt die Auswirkungen von Kniebeugen auf die athletische Performance untersucht haben, und nur eine davon fortgeschrittene Probanden verwendet hat, sollte man diese Annahme aktuell noch mit Vorsicht betrachten.

 

Ein sprintender Athlet, der Kniebeugen genutzt hat, um seine sportliche Performance zu verbessern.

 

Verletzungsrisiko bei Kniebeugen mit unterschiedlicher Tiefe

Oftmals wird argumentiert, man solle tiefe Kniebeugen vermeiden, weil sie die Knie und den unteren Rücken zu sehr belasten und zu Verschleißerscheinungen oder Verletzungen führen würden. Wieder andere raten dazu, am besten überhaupt keine Kniebeugen auszuführen, schon gar keine schweren. Leider zählen auch oft Ärzte und Physiotherapeuten zu diesen Spielverderbern und die müssen es ja eigentlich wissen, oder?

 

Kommen wir erst einmal zu den Scherkräften, die auf das Kniegelenk einwirken. Diese sind tatsächlich bei einem Winkel von 90 Grad am höchsten. Geht man tiefer, nimmt die Belastung auf das Gelenk wieder ab. Tiefer zu beugen erhöht also die Belastung auf das Kniegelenk nicht weiter, sondern reduziert es wieder.

 

Allerdings ist es im Prinzip müßig, mit Scherkräften zu argumentieren, weil in quasi jedem Teil der Bewegung eine andere Sehne oder ein anderes Gelenk besonders belastet wird und es deshalb eigentlich überhaupt keine Position gibt, in der nicht irgendein Teil des Unterkörpers übermäßig beansprucht wird. Und let’s face it: Schwere Kniebeugen stellen nun mal eine Belastung für den Körper dar, da beißt die Maus keinen Faden ab.

 

Aber was viele Experten dabei völlig außer Acht lassen, ist, wie anpassungsfähig der menschliche Körper ist. Anstatt also nach der vermeintlich biomechanisch “gesündesten” Art zu beugen zu suchen, schauen wir uns doch einfach mal an, wie es sich mit Verletzungen und Langzeitfolgen bei den Personen verhält, die tatsächlich regelmäßig schwer und tief beugen. Und wenn es um diese Kombination geht, dann schlägt niemand Gewichtheber. Ein halbwegs passabler Gewichtheber beugt mehrfach wöchentlich ohne mit der Wimper zu zucken Gewichte, von denen der durchschnittliche Hobbypumper nur träumen kann, und das Highbar und “ass to grass”.

 

Es gibt zwei Studien, die sich damit beschäftigt haben, welche Auswirkungen regelmäßiges schweres Beugen auf den Körper eines Gewichthebers haben (13, 14). Nicht nur kamen sie zu dem Schluss, dass die Sorge, dass schwere Beugen zwangsläufig zu Verletzungen führen, unbegründet ist, sie stellten auch fest, dass Gewichtheber wesentlich dickeres und robusteres Knorpelgewebe in und um die Knie sowie den unteren Rücken haben und eine deutlich höhere Knochendichte aufweisen als der Durchschnitt. Gerade die Abnahme der mineralischen Knochendichte ist einer der Hauptgründe, warum bei älteren Personen schneller Knochenbrüche auftreten. Statt also unter Langzeitfolgen zu leiden, wurden die Körper der Gewichtheber durch das jahrelange Training also sogar eher robuster und widerstandsfähiger.

 

In der Studie von Gratzke und Kollegen (14) sprechen die Autoren auch einen Punkt an, der in der Diskussion um die Auswirkungen der Beugetiefe oftmals zu wenig Beachtung findet. So mag eine flache Beuge zwar in der Theorie eine geringe Belastung für die passiven Strukturen darstellen, dafür kann man hier aber auch wesentlich höhere Gewichte verwenden, was den vermeintlichen Vorteil in Sachen Gelenkbelastung mehr als wieder ausgleicht. So kommen sie auch zu dem Schluss, dass flache Kniebeugen aus genau diesem Grund vermutlich sogar ein höheres Verletzungsrisiko darstellen als tiefe Kniebeugen, die zudem den Vorteil bieten, dass Sehnen und Gelenke bei diesen besser adaptieren.

 

Natürlich gelten hier auch Einschränkungen. Zunächst einmal ist eine gute Technik wie immer Grundvoraussetzung, eine Übung langfristig beschwerdefrei ausführen zu können. Wie eigentlich immer gilt: Nicht schweres Gewicht ist für Verletzungen verantwortlich, sondern eine schlechte Technik. Aber auch selbst mit guter Technik kann es zu Überlastungen kommen. Wer beispielsweise regelmäßig nahe am oder gar über dem eigenen Limit trainiert, eine schlechte Trainingsplanung verwendet oder durch den Einsatz von PEDs oder Equipment mehr Gewicht bewegt, als sein Körper eigentlich bewältigen könnte, der wird irgendwann sehr wahrscheinlich einen Preis für dieses Vorgehen zahlen müssen. Auch wenn sich das in diesem Fall nicht ausschließlich auf die Kniebeuge bezieht, so ist beispielsweise einem Elite-Strongman durchaus bewusst, dass er sich gesundheitlich mit seinem Sport keinen Gefallen tut. Ob es einem das wert ist oder nicht, muss jeder für sich entscheiden, nur bewusst sein sollte man sich in jedem Fall.

 

Ein Mann absolviert Kniebeugen mit mittlerer Tiefe.

 

Mobilität

Abschließend noch zu einen weiteren Faktor, der ebenfalls nicht unerwähnt bleiben sollte, und zwar die Mobilität. Zum einen fehlt vielen schlicht und einfach die Beweglichkeit für eine wirklich tiefe Beuge. Auch die individuellen Proportionen wie beispielsweise das Verhältnis von Ober- zu Unterkörperlänge bzw. Oberschenkel zu Unterschenkel oder die Hüftbreite haben großen Einfluss auf die Ausführung der Kniebeuge, weshalb es auch unseriös wäre, eine bestimmte Ausführung zum allgemeingültigen Ideal zu deklarieren. Hier können unter Umständen Anpassungen wie eine Neigung des Oberkörpers oder Tools wie Gewichtheberschuhe oder Fersenkeile helfen. Es ist jedenfalls nicht ungewöhnlich, dass eine tiefe Beuge bei Person A anders aussieht als bei Person B, was nicht heißt, dass eine der beiden Varianten falsch wäre.

 

Auf der anderen Seite ist Mobilität ebenfalls etwas, dass sich durch Training verbessern lässt und es somit jedem grundsätzlich ermöglicht, irgendwann eine tiefe Hocke einzunehmen. Und die tiefe Beuge an sich ist bereits eine Form der Dehnung unter Last und wer regelmäßig sehr tiefe Kniebeugen macht, muss sich um seine Beweglichkeit im Hüft- und Kniegelenk keine Sorgen machen. Wer also die Mobilität hat, um eine wirklich tiefe Kniebeuge auszuführen, der sollte diese schon deshalb regelmäßig in sein Training einbauen, um diese Beweglichkeit zu erhalten.

 

Im Übrigen ist die mangelnde Mobilität für eine tiefe Beuge ein Problem, das hauptsächlich in westlichen Ländern verbreitet ist. In weiten Teilen Asiens ist es üblich, für den Toilettengang mangels Toilettenschüssel diese Position quasi täglich einzunehmen, weshalb dort auch niemand dieses Problem hat. Dies verdeutlicht aber auch nochmals, dass es grundsätzlich jedem möglich sein sollte, eine tiefe Beuge auszuführen.

 

Zusammenfassung: Wie tief sollte eine Kniebeuge sein?

Wie tief eine Kniebeuge ausgeführt werden sollte, lässt sich nicht pauschal beantworten und hängt von der individuellen Zielsetzung ab. Anfänger, Powerlifter, Gewichtheber und Personen, die an einem möglichst großen Zuwachs an Muskulatur im gesamten Unterkörper interessiert sind, werden wohl am besten damit fahren, so tief zu beugen, wie es die individuelle Mobilität zulässt. Fortgeschrittene, die hauptsächlich ihre Athletik verbessern wollen oder Bodybuilder, die nur ihre Quads aufbauen wollen, ohne gleichzeitig ihren Gluteus und die Adduktoren zu stark auszubilden, werden hingegen mit eher flachen Beugen besser bedient sein.

 

Es ist jedenfalls nicht so, dass eine ultratiefe Beuge immer das einzig Wahre wäre, wie von einigen Puristen und Instagram-Experten gerne behauptet. Auch flachere Beugen haben durchaus ihre Berechtigung und können unter Umständen das Mittel der Wahl darstellen.

 

Abschließend sollte man vielleicht noch anmerken, dass auch die “Königin der Übungen” keinesfalls ein Muss ist und wenn es dir hauptsächlich darum geht, in Shorts eine gute Figur zu machen, dann würde ich sogar so weit gehen, zu behaupten, dass es bessere Übungen gibt. Denn bei allen Vorteilen ist die Kniebeuge eben auch eine Übung, die technisch anspruchsvoll ist, eine gewisse Mobilität erfordert, mehrere Muskeln gleichzeitig belastet und einiges an Erschöpfung erzeugt. Viele, wenn nicht sogar die meisten Bodybuilder führen deshalb inzwischen überhaupt keine klassischen Kniebeugen mehr aus.

 

Ich hoffe, du konntest aus diesem Artikel mal wieder etwas mitnehmen. Wenn du Fragen oder Anmerkungen hast, kannst du diese hier loswerden!

 

Quellen:

  1. Wolf et al. (2022): Partial vs full range of motion resistance training
  2. Bloomquist et al. (2013): Effect of range of motion in heavy load squatting on muscle and tendon adaptations
  3. Kubo et al. (2019): Effects of squat training with different depths on lower limb muscle volumes
  4. Rhea et al. (2016): Joint-Angle Specific Strength Adaptations Influence Improvements in Power in Highly Trained Athletes
  5. Hartmann et al. (2012): Influence of Squatting Depth on Jumping Performance
  6. Bazyler et al. (2014): The Efficacy of Incorporating Partial Squats in Maximal Strength Training
  7. Gillingham, DeBeliso (2022): The Efficacy of Partial Range of Motion Deadlift Training: A Pilot Study
  8. Pedrosa et al. (2021): Partial range of motion training elicits favorable improvements in muscular adaptations when carried out at long muscle lengths
  9. McMahon et al. (2014): Impact of range of motion during ecologically valid resistance training protocols on muscle size, subcutaneous fat, and strength
  10. Valamatos et al. (2018): Influence of full range of motion vs. equalized partial range of motion training on muscle architecture and mechanical properties
  11. Martinez Cava et al. (2019): Bench Press at Full Range of Motion Produces Greater Neuromuscular Adaptations Than Partial Executions After Prolonged Resistance Training
  12. Pallarés et al. (2019): Full squat produces greater neuromuscular and functional adaptations and lower pain than partial squats after prolonged resistance training
  13. Hartmann et al. (2013): Analysis of the Load on the Knee Joint and Vertebral Column with Changes in Squatting Depth and Weight Load
  14. Gratzke et al. (2007): Knee cartilage morphologic characteristics and muscle status of professional weight lifters and sprinters: a magnetic resonance imaging study
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