Wer sich einmal eingehender mit Trainingswissenschaft beschäftigt, aber auch wer des Öfteren ein Fitnessstudio besucht und dort den Fachsimpeleien der Anwesenden zugehört hat, der wird mit Sicherheit bereit schon mal vom zentralen Nervensystem (ZNS) gehört haben.
Dass dieses einen großen Einfluss auf motorische Funktionen im Allgemeinen und Training sowie Regeneration im Speziellen hat, steht dabei außer Frage. Aber welche Rolle das ZNS genau spielt, darüber gibt es noch immer eine größere Diskussion, vor allem aber viele Missverständnisse. Deshalb soll es in diesem Artikel darum gehen, was das zentrale Nervensystem eigentlich ist, welchen Einfluss es auf das Training hat und welche Schlüsse wir aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen können, um bessere Resultate im Studio zu erzielen.
Was ist das zentrale Nervensystem?
Das zentrale Nervensystem ist streng genommen eigentlich nur die Kombination aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Letzteres dient hierbei als Datenautobahn (ähnlich einer Kupfer- oder Glasfaserleitung) um Reize und Befehle zwischen dem Hirn als oberster Steuereinheit und den Reizempfängern (also Nervenenden) und motorischen Einheiten (Muskeln) zu vermitteln. Grob vereinfacht funktioniert das zentrale Nervensystem so, dass Reize von den Neuronen erfasst werden, eine Rückmeldung an das Gehirn weitergegeben wird und dieses die Informationen verarbeitet und darauf reagiert, indem es Befehle zurückschickt (1). Das umfasst so ziemlich jede Körperfunktion, egal ob bewusst oder unbewusst, von der Thermoregulation bis zum Bankdrücken.
Rein funktional lässt sich das zentrale Nervensystem auch nicht vom peripheren Nervensystem, also den Nervenbahnen des Körpers trennen, wobei dieses im Gegensatz zum ZNS nicht von Knochen (Rückenmark) oder der Blut-Hirn-Schranke geschützt ist. Allein zum zentralen Nervensystem könnte man natürlich ganze Bücher füllen (und hat das auch bereits unzählige Male), für diesen Artikel reicht diese knappe Umschreibung aber erst einmal aus.
Das ZNS und Erschöpfung
Das ZNS kommt in Diskussionen zum Thema Trainingswissenschaften hauptsächlich in Bezug auf Erschöpfungserscheinungen und Ermüdung vor. Und hier kommen wir auch schon zu einem der größten Missverständnisse in Sachen Erschöpfung des ZNS: Viele gehen davon aus, dass Erschöpfung des zentralen Nervensystems sich durch eine allgemeine physische und auch psychische Müdigkeit und Abgeschlagenheit nach einer harten Trainingseinheit manifestiert.
Tatsächlich ist dieser Begriff aber wesentlich konkreter definiert. Und zwar im Kontext von Krafttraining schlicht und einfach als eine Unfähigkeit der Muskeln, ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten zu können. Wenn du z. B. in einem Satz bis an dein Limit gehst und im darauffolgenden Satz nicht mehr die gleiche Wiederholungszahl erreichst, dann ist dies (auch) eine Folge der Erschöpfung des ZNS.
Unterscheiden muss man dabei allerdings die periphere Ermüdung, die lokal im trainierten Muskel auftritt, und die zentralen Ermüdung, die im Gehirn ausgelöst wird. Periphere Ermüdung wird zum Beispiel durch die Ansammlung von Metaboliten, durch Muskelschäden oder durch Elektrolytverschiebungen (Calcium und Kalium) hervorgerufen. Das Ergebnis ist jedenfalls, dass der Muskel nicht mehr in der Lage ist, seine maximale Kraft aufzubringen. Periphere Ermüdung tritt aber ausschließlich lokal auf, ein gezerrter Bizeps wird also kaum deine Kraft im Oberschenkel beeinflussen.
Wirkliche zentrale Ermüdung beschreibt dabei eher eine bewusste Regulation der Muskelzellen durch das Gehirn, das die Aktivität der Motoneuronen (Steuerungseinheiten der Muskeln) reduziert und somit verhindert, dass die Muskeln noch ihre volle Kraft entfalten können (2). Ausgelöst wird diese Regulation durch das Feedback der Nerven auf eine hohe Belastung. Die Neuronen (also Nerven) in einem Muskel lassen sich in 4 Gruppen unterteilen, die unterschiedliche Aufgaben haben. Die Gruppen 3 und 4 haben die Aufgabe, mechanische Spannung und das Aufkommen von Metaboliten wie Laktat festzustellen und daraufhin dem Gehirn entsprechende Signale zu übermitteln (3). Daraufhin sendet dieses wiederum den Befehl, die Aktivität der Motoneuronen zu reduzieren. Dies stellt einen Schutzmechanismus gegen Muskelschäden und sonstige Verletzungen dar.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es sich zwar theoretisch um komplett getrennte Arten der Erschöpfung handelt, diese aber durchaus auch synergetisch funktionieren können. So sind die Metaboliten und Muskelschäden der peripheren Erschöpfung gleichzeitig auch Trigger für zentrale Erschöpfung, weshalb eine vollständige Trennung dieser Erschöpfungsarten schwierig ist.
Was beeinflusst die zentrale Erschöpfung?
Ein weiteres großes Missverständnis in Bezug auf das ZNS besteht darin, dass oft angenommen wird, das Training mit schweren Gewichten (und dementsprechend geringen Wiederholungszahlen) würde das ZNS besonders stark erschöpfen. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall und hohe Wiederholungszahlen sowie Cardiotraining erzeugen eine deutlich größere zentrale Erschöpfung als schweres Training (4, 5, 6).
Wenn man berücksichtigt, dass einer der Hauptauslöser für zentrale Erschöpfung die Metabolitenansammlung ist, und dies bei hohen Wiederholungszahlen sehr viel stärker auftritt als bei niedrigen, erscheint dies auch nur logisch.
Und man kann diesen Effekt auch sehr leicht selbst feststellen. Wenn man beispielsweise 5 Wiederholungen bis zum absoluten Limit ausführt (5RM), dann wird man diese Leistung im folgenden Satz zwar ebenfalls nicht mehr erreichen, allerdings zumindest eine vergleichbare, also z. B. 4 Wiederholungen. Führt man aber 100 Wiederholungen Bizepscurls bis zum Muskelversagen aus, dann wird man in einem Folgesatz nur noch einen Bruchteil dieser Wiederholungen erreichen bzw. dauert es wesentlich länger, bis man wieder in diesen Bereich kommt. Es scheint jedenfalls so, als ob die Dauer der Signalgebung aus den Muskeln einen großen Einfluss auf den Grad der zentralen Erschöpfung hat.
Richtig ist allerdings, dass Verbundübungen mehr zentrale Erschöpfung verursachen als Isolationsübungen. Generell scheint es so, dass mehr zentrale Erschöpfung auftritt, je mehr Muskeln an einer Übung beteiligt sind (11). Oder anders ausgedrückt: Das zentrale Nervensystem toleriert mehr periphere Erschöpfung, wenn nur kleine oder wenige Muskeln involviert sind.
Im Kontext, dass Ausdauertraining eine höhere Erschöpfung des ZNS erzeugt als Krafttraining und komplexe Übungen mehr als Isolationsübungen, könnte man an dieser Stelle auch darauf schließen, dass die zentrale Erschöpfung höher ausfällt, wenn die Belastung auf das kardiovaskuläre System höher ist bzw. je mehr man nach dem Satz außer Puste ist.
Die Erschöpfung des zentralen Nervensystems wird als Faktor aber generell stark überschätzt und fällt im Rahmen eines normalen Krafttrainings so gering aus, dass Wissenschaftler manchmal Probleme haben, dieses überhaupt feststellen zu können.
So wollten Latella und Kollegen (7) in ihrer Studie z. B. herausfinden, ob die zentrale Erschöpfung bei einem kraftorientierten Training (5 Sätze á 3 Wiederholungen) höher ausfällt als bei klassischem Hypertrophietraining (3 Sätze á 12 Wiederholungen). Das Ergebnis war, dass bei keiner Variante überhaupt eine Erschöpfung des ZNS festzustellen und der Leistungsabfall höchstwahrscheinlich allein auf die periphere Erschöpfung zurückzuführen war. Auch Marshall und Kollegen kommen in Ihrer Studie von 2015 (8) zu dem Ergebnis, dass unabhängig von der Intensität bei ihrem Versuch keine zentrale Erschöpfung durch Krafttraining festzustellen war. Und auch Howatson und Kollegen kamen bei ihrer Studie mit Leistungssportlern trotz hochintensivem Training zu diesem Schluss (9).
Da die Abgrenzung zwischen peripherer und zentraler Erschöpfung wie bereits erwähnt recht schwierig ist, gibt es in der Wissenschaftsszene sogar die Diskussion, ob es überhaupt eine echte Erschöpfung des zentralen Nervensystems gibt (10) oder ob alle Effekte ausschließlich auf lokale Erschöpfung zurückzuführen sind. Diese These ist allerdings äußerst umstritten.
Unzweifelhaft ist hingegen, dass das Maß an zentraler Erschöpfung im Rahmen eines herkömmlichen Trainings eher gering ausfällt. Eine der wenigen Studien, bei denen tatsächlich eine hohe Erschöpfung des ZNS festzustellen war, war die Studie von Smith und Kollegen, bei denen die Probanden 70 Minuten (!) lang ihren Bizeps gegen einen (geringen) Widerstand kontrahieren mussten (12). Dies ist weit weg von der üblichen Praxis im Training, belegt jedoch erneut, dass Dauer in diesem Bezug ein potenterer Faktor ist als die Intensität.
Wie lange braucht das ZNS, um zu regenerieren?
Ein weiterer Irrglaube in Bezug auf das zentrale Nervensystem ist, dass es lange brauchen würde, um sich zu erholen. Teilweise wird hier von Tagen oder gar Wochen gesprochen bis das ZNS vollständig regeneriert wäre. In Wahrheit geht es hier aber eher um Minuten bis maximal eine Stunde. Das Maß an Erschöpfung ist dabei unmittelbar nach dem Ende der Aktivität am höchsten und baut sich dann sukzessive ab, bis sie überhaupt nicht mehr feststellbar ist. Zum Beispiel stellten Latella und Kollegen in Ihrer Studie von 2016 fest, dass bereits 10 Minuten nach einem schweren Bizepstraining keine zentrale Erschöpfung mehr festzustellen war (13), gemessen mittels elektromagnetischer Stimulation der MEP (Motorisch evozierte Potenziale).
Dies könnte auch der Grund sein, warum es den Wissenschaftlern so selten gelang, die zentrale Erschöpfung im Rahmen eines Widerstandstrainings zu festzustellen: sie waren vermutlich einfach zu spät mit ihren Messungen.
Ebenfalls interessant an dieser Arbeit war, dass in den Tagen nach einem Workout sogar eine Steigerung der Aktivität des ZNS festzustellen war, statt einer Erschöpfung. Jedenfalls ist es ein Mythos, dass das ZNS lange Zeit braucht, um sich vollständig zu erholen. Das gilt allerdings nur für die zentrale Erschöpfung, die periphere Erschöpfung dauert wesentlich länger und definiert somit quasi die Regenerationsdauer, die ein Muskel benötigt.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es durchaus auch renommierte Experten gibt, die dem widersprechen und tatsächlich davon ausgehen, dass bestimmte Komponenten des zentralen Nervensystems doch länger brauchen und somit Auswirkungen auch im folgenden Training zu spüren wären. Da es aber wie gesagt schwierig ist, periphere und zentrale Ermüdung zu trennen, das eine auch das andere beeinflussen kann und die direkt messbaren Faktoren eher für eine schnelle Regeneration sprechen, tendiere ich persönlich dazu, eine schnelle Regeneration für plausibler zu halten und eventuelle Langzeitfolgen eher der peripheren Erschöpfung zuzuschreiben.
Ist zentrale Erschöpfung lokal oder systemisch?
Oben hatten wir als einen der Faktoren, die periphere Erschöpfung von zentraler unterscheiden aufgeführt, dass periphere Erschöpfung ausschließlich lokal, also innerhalb des trainierten Muskels auftritt. Heißt das, dass zentrale Erschöpfung systemischer Natur ist, also sich auf den gesamten Körper auswirkt? Die Antwort ist ein eher wachsweiches Jein.
Auf der einen Seite ist da das Argument, dass man quasi ohne Kraftverlust antagonistische Supersätze ausführen kann und zentrale Erschöpfung somit lokal sein müsste, da dies ansonsten so nicht funktionieren würde. Zwar wird dies schwieriger, je fordernder die einzelnen Übungen sind, allerdings ließe sich das ja auch mit mangelnder Ausdauer erklären. Es könnte aber auch tatsächlich darauf hinweisen, dass zentrale Erschöpfung eher systemisch ist.
Unterstützt wird die These zur systemischen Natur zentraler Erschöpfung auch von einer Studie, bei der die Erschöpfung des ZNS bei Kniebeugen und Kreuzheben verglichen wurde (14). Wer beide Übungen kennt, weiß auch, dass zwar bei beiden der Quadrizeps beteiligt ist, dieser bei den Beugen aber wesentlich mehr Arbeit verrichten muss als beim Kreuzheben und dementsprechend mehr ermüdet. Trotzdem war der Grad der Muskelaktivierung im Quadrizeps nach der Ausführung bei beiden Übungen identisch.
Es gibt auch weitere Studien zur Auswirkung von systemischer Erschöpfung durch das ZNS (15, 16). Interessant ist bei diesen, dass sich offenbar das Training des Oberkörpers bis zum Versagen deutlich negativer auf das anschließende Training der Beine auswirkt als umgekehrt. Begründet wird das meist damit, dass die Muskeln im Unterkörper deutlich größer sind und dementsprechend mehr Motoneuronen haben, die auf eine zentrale Erschöpfung überhaupt reagieren können.
Übrigens sind diese Studien gleichzeitig auch ein guter Hinweis darauf, dass zentrale Erschöpfung tatsächlich existiert, denn hier kann die periphere Erschöpfung als Indikator ausgeschlossen werden.
Alles in allem ist hier noch keine endgültige Schlussfolgerung möglich, die Hinweise, dass es sich um eine systemische Erschöpfung handelt, verdichten sich jedoch, wirken nachvollziehbarer und decken sich auch eher mit den Erfahrungen aus der Praxis.
Lehren für die Praxis
Artikel wie dieser sollen ja nicht nur dazu dienen, ein wenig klugzuscheißen und verbreitete Missverständnisse zu korrigieren, sondern im besten Fall lernen wir immer auch etwas, das uns in der Praxis weiterbringt. Was also sind die Lehren, die wir aus den Informationen zum ZNS ziehen können?
Tatsächlich ist es in diesem Fall nicht unbedingt so, dass sich durch diese Erkenntnisse viel an unserem Training ändern würde, sondern es bestätigt eher bzw. liefert eine Begründung oder erklärt einen Mechanismus zu Empfehlungen, die alles andere als neu sind und längst so praktiziert werden. Doch schauen wir uns das doch mal bezogen auf die beiden häufigsten Trainingsziele, also Muskel- und Kraftaufbau an.
Das ZNS und Hypertrophie
An dieser Stelle könnte man die Frage stellen, inwiefern das ZNS beim Muskelaufbau überhaupt eine Rolle spielt, schließlich wird Hypertrophie hauptsächlich durch mechanische Spannung bzw. Nähe zum Muskelversagen erzeugt und nicht durch die Höhe der Arbeitsgewichte. Und da das ZNS lediglich den Kraftoutput reduziert, sollte das Bodybuildern doch eigentlich fast egal sein, oder?
Der Gedanke ist an sich richtig, im konkreten Fall aber nicht zutreffend. Denn die Aktivität der Motoneuronen herabzusenken, bedeutet in diesem Fall schlicht, dass nicht mehr alle Muskelfasern aktiviert werden. Und es sind nun mal genau diese Reps, bei denen alle Muskelfasern involviert sind, die letztlich für Muskelwachstum sorgen, egal ob dies durch hohes Gewicht oder Nähe zum Muskelversagen ausgelöst wird. Insofern hat das ZNS durchaus großen Einfluss auf den Muskelaufbau, und zwar in folgenden Bereichen:
Übungsreihenfolge: Wenn man davon ausgeht, dass zentrale Erschöpfung systemischer Natur ist und sich im Laufe der Trainingseinheit immer weiter steigert, dann kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass die Übungen, die man als erstes trainiert auch die effektivsten sind und alles, was erst am Ende einer Einheit trainiert wird, weniger Reiz abbekommt. Deshalb wird auch oft dazu geraten, Schwachstellen wie die Waden am Anfang zu trainieren, wenn man noch frisch ist. Wenn man zudem berücksichtigt, dass das Training des Oberkörpers sich negativer auf das Training des Unterkörpers auswirkt als umgekehrt, dann ergibt sich daraus, dass man stets mit den Beinen beginnen sollte, wenn man sowohl den Unterkörper als auch den Oberkörper in einer Einheit trainieren möchte (was ohnehin nur im Rahmen eines GK oder 2er-Splits Sinn macht). Auch das ist in fast jedem vernünftigen Plan so vorgesehen.
Wiederholungszahlen: Aktuell geht der Trend immer mehr zu eher niedrigen Wiederholungszahlen. Diese bieten diverse Vorteile: Zum einen spielt die kardiovaskuläre Komponente nicht so eine große Rolle, sie erzeugen weniger Muskelschäden und lassen sich dementsprechend leichter regenerieren und sie bauen neben Muskulatur auch mehr Kraft auf. Ein weiteres Argument ist auch, dass wir gesehen haben, dass hohe Wiederholungszahlen mehr zentrale Erschöpfung erzeugen als niedrige und somit ab einem gewissen Punkt weniger effektiv sein könnten. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass es eine Mindestschwelle an Gewicht gibt, unter der kein effektiver Muskelaufbau mehr stattfindet (ca. 30 % des 1RM (entspricht etwa 35 Wiederholungen)). Hier könnte es einfach sein, dass bereits während der Ausführung eine so große zentrale Erschöpfung aufgebaut wird, dass diese die Muskelaktivität herunterreguliert, bevor überhaupt alle Muskelfasern aktiv sind.
Volumen & Intensität: Dass der erste Satz einer Übung immer auch der effektivste ist und alle nachfolgenden Sätze sukzessive weniger Mehrwert bieten, ist bekannt und hängt ebenfalls mit der Ermüdung des ZNS zusammen. Dies gilt insbesondere, wenn bei jedem Satz bis zum Limit gegangen wird. Dementsprechend macht es Sinn, sich bei hoher Intensität auf wenige Sätze zu beschränken und stattdessen lieber noch eine weitere Übung anzuhängen. Wer gerne mit hohem Volumen trainiert, sollte hingegen ein paar Wiederholungen im Tank lassen, um nicht zu viel Erschöpfung aufzubauen und somit das meiste aus jedem Satz zu machen. Im Übrigen sprechen auch beide Ansätze dafür, das Gesamtvolumen über die Woche zu verteilen, um jeden Satz möglichst frisch ausführen zu können, was dann ein weiteres Indiz für die Überlegenheit einer höheren Frequenz wäre. Bisher war der wissenschaftliche Stand zwar, dass es bei gleichem Volumen keinen Unterschied macht ob man hoch oder niedrig splittet, die Tendenz geht aktuell wieder deutlicher in Richtung niedriger Splits, also 2er oder GK-Plänen, da hier jeder einzelne Satz für sich genommen effektiver und die Muskelschäden geringer wären.
Pausenzeiten: Wir wir auch schon in unserem Artikel zu den Pausenzeiten geschrieben haben, steigern lange Pausenzeiten die Effektivität des Trainings bzw. eines Arbeitssatzes. Oder anders gesagt: Wer zwischen den Sätzen nur kurze Pausen einhält, der muss als Ausgleich ein höheres Volumen fahren oder er wird dadurch Gains auf der Strecke lassen. Auch das wird eine direkte Folge einer zentralen Erschöpfung sein, ganz besonders, da dieser Effekt auch stärker ist, je größer der trainierte Muskel und je komplexer die Übung ist. Dies deckt sich mit der oben beschriebenen Tatsache, dass die zentrale Erschöpfung größer ausfällt, wenn mehr Muskelmasse aktiviert wird und Verbundübungen ausgeführt werden. Mit ausreichend langen Pausenzeiten gibt man seinem ZNS die Chance, sich zumindest teilweise zu erholen und sich somit in Folgesätzen nicht zu limitieren.
Was hier nicht so wirklich ins Bild passt, sind Intensitätstechniken wie Dropsets oder Myoreps. Diese sind nach aktuellem Erkenntnisstand in Sachen Hypertrophie genauso effektiv wie straight Sets, was aber den Erkenntnissen zur zentralen Erschöpfung widersprechen würde. Warum dies der Fall ist, kann man nur mutmaßen. Eventuell sorgen extrem kurze Pausenzeiten von wenigen Sekunden dafür, dass die Phase der maximalen Faserrekrutierung gar nicht erst aufhört oder man muss die Studien zu Intensitätstechniken noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Sollte ich eine Antwort auf diese Frage finden, lasse ich es dich wissen!
Generelle Trainingsplanung: Was wir ebenfalls gelernt haben, ist, dass Cardiotraining sogar mehr zentrale Erschöpfung erzeugt als Krafttraining. Deshalb sollte man auf intensives Cardio vor einer Trainingseinheit verzichten, wenn der Fokus auf Kraft- oder Muskelaufbau liegt. Generell sollte man Widerstands- und Cardiotraining nach Möglichkeit voneinander trennen, um möglichst gute Resultate zu erzielen.
Das ZNS und Krafttraining
Kraftorientiertes Training ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Praxis der Wissenschaft voranschreitet. Wenn man sich anschaut, wann die Studien zur Bedeutung des zentralen Nervensystems im Training veröffentlicht wurden, merkt man, dass diese größtenteils aus den letzten 10 bis 20 Jahren stammen. Die Erkenntnisse aus diesen werden im Krafttraining bereits seit einigen Jahrzehnten umgesetzt. Wenn man sich die Grundprinzipien des Trainings mit dem Fokus der Maximalkraft anschaut, dann wird hier der zentralen Erschöpfung jedenfalls zur Genüge Rechnung getragen.
Vereinfacht gesagt funktioniert kraftorientiertes Training in etwa so, dass man stets einen möglichst hohen Load (also Arbeitsgewichte) verwendet, mit diesem ein relativ hohes Volumen absolviert und sich dabei stetig steigert. Erreicht wird dies mit dem Einsatz von besonders langen Pausenzeiten, dem Verzicht auf Muskelversagen, einer hohen Trainingsfrequenz und einer zyklisch ansteigenden Belastung. Also fast genau den Punkten, die wir bereits beim Thema Hypertrophie aufgeführt hatten, um sich nicht vom ZNS einschränken zu lassen, nur eben noch deutlicher akzentuiert. So erlauben es die im Krafttraining typischen extralangen Pausen in Kombination mit der zurückgenommenen Intensität (im Bezug auf Nähe zum MV), mit einem vollständig regenerierten ZNS an jeden Satz zu gehen und so nahezu ohne Kraftverlust zu arbeiten.
Abschluss
Wenn in der Broscience die Rede vom zentralen Nervensystem ist, dann wird hier vieles missverstanden, es werden falsche Schlüsse gezogen und Dinge durcheinandergebracht. Meist wird das ZNS dann als eine Art Ressource umschrieben, die durch hartes Training in Mitleidenschaft gezogen wird und irgendwann “kaputt” ist, was schwerwiegende Konsequenzen hat. Ich nehme mich selbst da übrigens nicht aus. Auch ich habe in der Vergangenheit mangels besseren Wissens mit einer “Belastung des ZNS” argumentiert, ohne wirklich genau zu wissen, was das eigentlich bedeutet.
Aber tatsächlich ist das ZNS und daraus folgend, zentrale Erschöpfung, ein recht klar definierter Begriff, dessen Mechanismen sich ziemlich genau erklären lassen. Das Problem hier liegt eher darin, dass dem ZNS vieles zugeschrieben wird, das eigentlich in andere Bereiche gehört. So muss man zentrale klar von der peripheren Erschöpfung trennen, die für einen Großteil der Symptome verantwortlich ist, die dem ZNS zugeschrieben werden. Ebenso eine große Rolle spielt einfach eine allgemeine Erschöpfung, die zwar ebenfalls mit den Nervenbahnen zu tun hat, aber nicht mit dem ZNS per se. Oft ist es auch genau umgekehrt als angenommen: Es ist nicht das ZNS, das typische Symptome einer Erschöpfung auslöst, sondern diese Symptome veranlassen das ZNS dazu, den Leistungsoutput zu regulieren, um weitere Schäden zu vermeiden.
Das heißt natürlich nicht, dass das ZNS im Training keine Rolle spielt (denn das tut es offensichtlich), sondern vielmehr, dass diese Rolle deutlich mittelbarer ist als oft dargestellt. Statt das ZNS also als einen abstrakten Faktor im Hintergrund zu sehen, macht es viel mehr Sinn, es als eine Art Computer oder Steuerungseinheit zu begreifen, das auf äußerliche Reize reagiert und entsprechende Anpassungen vornimmt.
Ich hoffe jedenfalls, du konntest etwas lernen und dass der Artikel dir gefallen hat. Wenn ja, sag es uns gerne hier! Und falls nein, dann bitte ebenfalls (und was dich genau gestört hat)!
Quellen:
- Grillner (2006): Biological Pattern Generation: The Cellular and Computational Logic of Networks in Motion
- Taylor et al: (2000): Supraspinal fatigue during intermittent maximal voluntary contractions of the human elbow flexors
- Amann et al. (2014): Autonomic responses to exercise: Group III/IV muscle afferents and fatigue
- Yoon et al. (2007): Mechanisms of fatigue differ after low- and high-force fatiguing contractions in men and women
- Thomas et al. (2017): Intensity-Dependent Contribution of Neuromuscular Fatigue after Constant-Load Cycling
- Thomas et al. (2015): Central and peripheral fatigue in male cyclists after 4-, 20-, and 40-km time trials
- Latella et al. (2017): Effects of acute resistance training modality on corticospinal excitability, intra-cortical and neuromuscular responses
- Marshall et al. (2015): The Magnitude of Peripheral Muscle Fatigue Induced by High and Low Intensity Single-Joint Exercise Does Not Lead to Central Motor Output Reductions in Resistance Trained Men
- Howatson et al. (2015): The Response to and Recovery From Maximum-Strength and -Power Training in Elite Track and Field Athletes
- Contessa et al. (2016): Is the notion of central fatigue based on a solid foundation?
- Rossmann et al. (2012): Muscle mass and peripheral fatigue: a potential role for afferent feedback?
- Smith et al. (2007): Sustained contraction at very low forces produces prominent supraspinal fatigue in human elbow flexor muscles
- Latella et al. (2016): The Time-Course of Acute Changes in Corticospinal Excitability, Intra-Cortical Inhibition and Facilitation Following a Single-Session Heavy Strength Training of the Biceps Brachii
- Barnes et al. (2019): Acute Neuromuscular and Endocrine Responses to Two Different Compound Exercises: Squat vs. Deadlift
- Aboodarda et al (2015): Elbow flexor fatigue modulates central excitability of the knee extensors
- Halperin et al. (2015): Non-local muscle fatigue: effects and possible mechanisms