Anfänger sollten idealerweise zunächst mit einem niedrigen Split, also einem GK oder maximal einem 2er-Split, trainieren. Warum das so ist, erklären wir unter anderem in unserem Artikel zum besten Trainingssplit. Diese bestehen in der Regel hauptsächlich aus Grundübungen und enthalten nur wenige oder überhaupt keine Isolationsübungen. Die simple Begründung dafür lautet, dass diese im Rahmen eines niedrigen Splits einfach keinen Platz haben und man sich, wenn man nur wenige Übungen ausführen kann, lieber auf solche beschränken sollte, die gleich mehrere Muskeln auf einmal trainieren. Oder anders ausgedrückt, wenn man nur wenige Übungen machen kann, dann nimmt man die, welche einem am meisten “bang for the buck” bieten.
Aber fehlt dann nicht was? Lassen Anfänger so nicht Gains auf der Strecke und das auch noch an genau den Stellen, wo sie am meisten aufbauen wollen, beispielsweise an den Armen? Und gibt es noch eine andere Begründung, warum Anfänger auf Isos verzichten können, außer einem lapidaren “hat keinen Platz“? Genau das werden wir heute klären!
Was sagt die Wissenschaft?
Bevor wir uns anschauen, wie die Studienlage zu diesem Thema aussieht, sollten wir noch kurz die Begrifflichkeiten klären. So hatte ich eingangs von “Grundübungen” gesprochen. Da dieser Begriff aber einen gewissen Interpretationsspielraum lässt, wäre es sinnvoller, diese von nun an als “Mehrgelenksübungen” (oder “Verbundübungen”) zu bezeichnen, um sie von den Isolationsübungen, bei denen nur ein Gelenk involviert ist, abzugrenzen.
Um einen Überblick zu dem Thema zu erhalten, schauen wir uns zunächst einmal die Metaanalyse von Rosa und Kollegen aus dem Jahr 2022 an (1). In dieser analysierten die Autoren Studien, welche die Effekte von Mehrgelenks- und Isolationsübungen verglichen hatten und bewerteten dabei den Muskelzuwachs in den Gliedmaßen. Wieso nur den Gliedmaßen? Ganz einfach, weil es für den Torso (genauer: Rücken und Brust) im Prinzip keine echten Isos gibt. Man kann jetzt natürlich darüber streiten, ob nicht z. B. Flies oder Überzüge als solche bezeichnet werden können, da nur ein Gelenk wirklich aktiv bewegt wird. Aber erstens werden diese Übungen in der Regel ohnehin eher ergänzend ausgeführt und sind fast nie die Hauptübung für diese Muskeln und zweitens ist zwar nur ein Gelenk aktiv, dafür werden aber andere Muskeln durchaus involviert.
7 Studien haben die Auswahlkriterien von Rosa und Kollegen erfüllt. Von diesen 7 wurden 5 an untrainierten Probanden durchgeführt und eine an Teilnehmern, die vor Studienbeginn nur Rehatraining ausgeführt hatten, weshalb man auch diese Studie für die Fragestellung berücksichtigen kann.
Dabei gab es drei unterschiedliche Studiendesigns: Entweder führte eine Gruppe nur Mehrgelenksübungen aus, während eine Vergleichsgruppe zu diesen noch Isos wie Curls und Extensions ergänzte (2, 3, 4) oder aber eine Gruppe führte nur Übungen wie Bankdrücken, Rudern und Latzug aus, während die Vergleichsgruppe ausschließlich Isolationsübungen für die Arme ausführte (5, 6). Das dritte Modell betrifft die einzige Studie, die sich auf die Muskulatur im Unterkörper konzentrierte. In dieser wurde die Beinpresse mit einer Kombination aus Übungen verglichen, die alle involvierten Muskeln einzeln trainierten, also Bein- und Hüftstrecker sowie Plantarflexion, was praktisch Wadenheben darstellt (7).
Das Ergebnis war jedenfalls, dass in 5 dieser 6 Studien kein Unterschied in Sachen Muskelaufbau der Extremitäten festgestellt werden konnte, wenn nur mit Mehrgelenksübungen, nur mit Isos oder einer Kombination aus beiden trainiert wurde.
Lediglich die Studie von Mannarino und Kollegen (6) wies einen deutlichen Unterschied beim Bizeps nach, wenn mit Curls statt nur mit Kurzhantelrudern trainiert wurde. Dazu muss man aber auch sagen, dass Rudern mit Kurzhanteln zu den Übungen zählt, bei denen der Bizeps am wenigsten aktiviert wird. Bei den Studien, die stattdessen Curls mit dem Latzug oder anderen Rudervarianten verglichen haben, war hingegen kein Unterschied erkennbar.
Wenn man sich also rein die Studien aus dieser Meta anschaut, dann lautet das Urteil jedenfalls, dass Isolationsübungen für Anfänger offenbar keinen Mehrwert gegenüber einem ausschließlich auf Mehrgelenksübungen aufgebauten Trainingsplan bieten. Im Übrigen deckt sich das auch mit der einzigen Studie in dieser Analyse, die an trainierten Probanden ausgeführt wurde (8). Auch hier waren die Ergebnisse nicht besser, wenn Isolationsübungen ergänzt wurden.

Erklärungsversuche
Der eine oder andere wird diese Ergebnisse nun vielleicht hinterfragen. Ein Argument, das einem dabei in den Sinn kommen könnte, lautet, dass es für effektiven Muskelaufbau doch erforderlich ist, einen Muskel bis in die Nähe des Versagens zu trainieren, und das ist bei den Hilfsmuskeln bei Mehrgelenksübungen doch gar nicht gegeben, oder?
Allerdings ist es bei Mehrgelenks- oder Verbundübungen, bei denen mehrere Muskeln als Einheit agieren meist so, dass der Körper automatisch versuchen wird, die abnehmende Kraft eines beteiligten Muskels durch mehr Einsatz des anderen auszugleichen. So wird man beim Bankdrücken vermehrt mit Schulter oder Trizeps arbeiten, wenn die Brust weniger Kraft aufbringen kann und deshalb merken viele Kreuzheben hauptsächlich im unteren Rücken, weil Beinbeuger und Po zu schwach entwickelt sind. Zwar ermüden alle beteiligten Muskeln nicht in genau dem gleichen Maße, dass aber Hilfsmuskeln bei Verbundübungen nicht genug gefordert werden, um einen Wachstumsreiz zu setzen, ist falsch.
Deshalb hat sich in der Wissenschaft inzwischen durchgesetzt, bei der Volumenermittlung für einen Muskel Mehrgelenksübungen als “fractional sets” für die beteiligte Hilfsmuskulatur zu zählen. So wäre ein Satz Bankdrücken zum Beispiel ein Satz für die Brustmuskulatur, aber auch ein halber Satz für den Trizeps. Durch diese Zählweise lassen sich die Ergebnisse in Sachen Muskelaufbau nach Erfahrung der Wissenschaftler am genauesten abbilden.
Nun ist es so, dass Anfänger nur einen sehr geringen Reiz brauchen, um Muskeln aufzubauen. Und ist diese Reizsetzung erfolgt, bringt weiteres Volumen keinen weiteren Benefit mehr. Deshalb reichen Anfängern bereits die Grundübungen, um auch bei den Hilfsmuskeln eine ausreichende Stimulation zu erzeugen.

Braucht es dann überhaupt Isolationsübungen?
Wie wir besprochen haben, wurde im Rahmen der Metaanalyse von Rosa und Kollegen selbst bei trainierten Probanden kein verstärkter Muskelaufbau festgestellt, wenn zu den Mehrgelenksübungen Isos ergänzt wurden. Und zudem berichten auch immer wieder erfahrene Powerlifter, deren Training grundsätzlich eher auf schweren Verbundübungen aufgebaut ist, dass sie großartige Arme entwickeln konnten, ohne je auch nur einen Curl oder eine Trizeps-Iso auszuführen. Auch Turner werden gerne als Beispiel bemüht, dass man auch ohne klassische Bodybuilding-Übungen beeindruckende Keulen entwickeln kann. Deshalb stellt sich die Frage, ob man überhaupt Isolationsübungen ausführen sollte.
Zunächst sollte man aber noch einmal auf den Punkt eingehen, dass Anfänger nur ein geringes Volumen benötigen, um Muskeln aufzubauen. Nun, bei Fortgeschrittenen sieht die Sache etwas anders aus. Wer die Phase der Noob-Gains bereits abgeschlossen hat, der wird in der Regel auch etwas mehr Volumen benötigen. Interessanterweise ändert sich das bei weit Fortgeschrittenen wieder, da diese sehr schwere Gewichte bewegen und sehr effektiv darin sind, ihre Muskeln vollständig zu aktivieren. Jedenfalls wird der indirekte Reiz bei Mehrgelenksübungen in vielen Fällen nicht ausreichen, um auch bei Fortgeschrittenen für maximalen Muskelaufbau zu sorgen. Ausgenommen natürlich, es wird bei diesen mit einem sehr hohen Volumen trainiert, wie das beispielsweise bei Turnern der Fall ist, die in der Regel deutlich mehr trainieren als die meisten Gymrats.
Aber wieso waren dann die Ergebnisse auch bei den Studien mit den trainierten Probanden gleich gut? Dazu muss man wissen, dass die Definition von “trainierten Probanden” teilweise etwas vage ist und viele von diesen trotzdem keinen fortgeschrittenen Status aufweisen, wie wir bereits in einem anderen Artikel besprochen haben.
Und was ist mit den Powerliftern? Um es kurz zu sagen, dass Powerlifter in den niedrigeren Gewichtsklassen Arme wie Bodybuilder haben, ist eher eine Ausnahme und diese führen dann meist auch zusätzliche Übungen für diese aus. Und was die hohen Gewichtsklassen angeht, so überschätzen diese auch oftmals schlicht, wie viel Muskulatur wirklich unter dem Speckmantel vorhanden ist. Das bezieht sich aber wohlgemerkt nur auf Muskeln, die beim Kraftdreikampf eher weniger beansprucht werden (etwa der Bizeps).
Aber trotzdem werden auch Fortgeschrittene rein mit Grundübungen gut Muskulatur an Beinen und Armen aufbauen, ohne zusätzliche Isos auszuführen. Der Grund, warum Isos trotzdem Sinn machen, ist ein anderer: Wie auch Rosa und Kollegen selbst im Discussion-Teil ihrer Arbeit aufführen, ist es einfach sehr schwer, bestimmte Teile der Muskulatur ohne Isos vollständig aufzubauen. So sind Kniebeugen und die Beinpresse grundsätzlich hervorragende Übungen für den Quadrizeps, der M. rectus femoris wird bei diesen aber fast gar nicht trainiert. Ähnlich verhält es sich mit dem langen Kopf des Trizeps, der bei sämtlichen Druckübungen kaum beansprucht wird, während man die anderen beiden Köpfe mit Bankdrücken und Co. super trainieren kann. Und Überkopfdrücken mag zwar die seitliche Schulter durchaus involvieren, den runden Kanonenkugel-Look, wie er im Bodybuilding angestrebt wird, wird man aber ohne Seitheben kaum erreichen können
Aus rein funktioneller Sicht sind Isos deshalb vielleicht verzichtbar, aber wenn es einem hauptsächlich um eine athletische Optik in Richtung Bodybuilding geht, dann kommt man um sie kaum herum. Aber – und auch das muss man sagen – hier geht es dann eher um Detailarbeit oder Feintuning.
Fazit zum Thema Isolationsübungen für Anfänger
Um nicht zu lange um den heißen Brei herumzureden: Nein, Anfänger brauchen keine Isolationsübungen und deshalb ist ein Anfänger-Plan, der diese nicht beinhaltet, auch kein schlechter Plan.
Isolationsübungen machen grundsätzlich zwar durchaus Sinn, wenn es darum geht, bei Fortgeschrittenen zusätzliches Volumen zu addieren und vor allem, um einen Muskel vollständig zu entwickeln und somit einen bestimmten Look zu erzeugen. Allerdings geht es bei Anfängern erst einmal darum, eine gewisse Basis an Muskelmasse aufzubauen und Fleisch auf die Knochen zu packen. Und dazu ist es eben sinnvoll, sich erst einmal auf die Basics zu konzentrieren und in diesen stärker zu werden. Oder anders ausgedrückt: Wenn du die Beine einer Heuschrecke hast, musst du dir um den M. rectus femoris einfach noch keinen Kopf machen.
Aber ganz ehrlich, wenn mich ein Anfänger bittet, ihm einen Plan zu erstellen, dann baue ich in der Regel trotzdem ein paar Curls oder eine Trizeps-Iso ein. Warum? Weil er es ja sowieso macht und es ihm auch nicht schaden wird. Viele denken eben, dass ihnen etwas fehlt, wenn sie keine Isos ausführen und wenn sie sich dann besser fühlen oder ihnen das Training mehr Spaß macht, wenn sie ein paar Curls ballern, dann bieten diese auf gewisse Art eben doch einen Mehrwert. Auch wenn es de facto wahrscheinlich nicht zu besseren Ergebnissen führen wird.
Aber wie stehst du zu dem Thema? Sind Isolationsübungen für Trainingsanfänger ein Must-have, eine sinnvolle Ergänzung oder komplette Zeitverschwendung? Verrate es uns im Forum!
Quellen:
- Rosa et al. (2022): Hypertrophic Effects of Single- Versus Multi-Joint Exercise of the Limb Muscles: A Systematic Review and Meta-analysis (Volltext nur auf Anfrage)
- de Souza Bezerra et al. (2018): Muscular performance and body composition changes following multi-joint versus combined multi- and single-joint exercises in aging adults
- Brandao at al. (2018): Varying the order of combinations of single- and multi-joint exercises differentially affects resistance training adaptations
- Gentil et al. (2013): Effect of adding single-joint exercises to a multi-joint exercise resistance-training program on strength and hypertrophy in untrained subjects
- Gentil et al. (2015): Single vs. Multi-Joint Resistance Exercises: Effects on Muscle Strength and Hypertrophy
- Mannarino et al. (2019): Single-joint exercise results in higher hypertrophy of elbow flexors than multijoint exercise
- Sleivert et al. (1995): The influence of a strength-sprint training sequence on multi-joint power output
- de Franca et al. (2015): The effects of adding single-joint exercises to a multi-joint exercise resistance training program on upper body muscle strength and size in trained men