Die Vorteile von niedrigen Wiederholungszahlen

Vielleicht hast du auch schon mal gehört, dass Wiederholungszahlen zwischen einer und 5 Reps dem Aufbau von Kraft dienen, 6 bis 12 Reps Muskeln aufbauen und alles darüber hinaus die Kraftausdauer steigert. Zumindest wurde dies jahrelang mantraartig gepredigt.

 

Aber inzwischen wissen wir, dass dieses Schema zumindest in Bezug auf Muskelaufbau überholt ist. Tatsächlich scheint der Load – und damit einhergehend die Wiederholungszahl – keinen wirklichen Einfluss auf Hypertrophie zu haben, solange man nahe genug ans Muskelversagen trainiert (1, 2). Deshalb kann man im Prinzip mit 5 bis 30 Wiederholungen gleich gut Muskeln aufbauen. Vermutlich geht die effektive Range sogar noch deutlich weiter und es gibt sogar Studien, bei denen die Teilnehmer auch mit nur 20 % des 1RM und über 60 Wiederholungen noch genauso gut Muskeln aufbauen konnten wie mit höheren Loads (3). Allerdings ist diese Form des Trainings für die meisten schlicht unpraktisch und deshalb weitestgehend irrelevant. Wenn es dir also darum geht, Muskeln aufzubauen, dann hast du einiges an Spielraum, in welchem Wiederholungsbereich du trainieren kannst.

Aber es gibt ein paar sehr gute Argumente, die dafür sprechen, hauptsächlich im niedrigen Wiederholunsgbereich zwischen 5 und 8 Reps zu trainieren. Und diese möchte ich dir kurz vorstellen.

 

 

Höhere Loads führen zu mehr Kraftaufbau

Eingangs hatte ich geschrieben, dass das altbekannte Mantra in Bezug auf Muskelaufbau überholt sei. Und das stimmt auch. Nur: In Bezug auf den Aufbau von Kraft stimmt es nach wie vor. Höhere Loads bzw. niedrige Wiederholungszahlen sind überlegen, wenn es darum geht, stärker zu werden (4).

 

Das ist im Prinzip auch logisch. Wer besser darin werden will, möglichst schwere Gewichte zu bewegen, sollte auch mit diesen trainieren. Und wenn man sich anschaut, wie Powerlifter trainieren, denen es primär darum geht, möglichst viel Kraft aufzubauen, dann wird man feststellen, dass diese die Mainlifts fast ausschließlich im niedrigen bis moderaten Wiederholungsbereich trainieren.

 

Wenn dein Ziel ausschließlich im Muskelaufbau liegt, dann könnte dir das zwar grundsätzlich egal sein, aber wenn du mit niedrigen Reps gleich gut Muskeln aufbauen kannst, dann ist der gleichzeitig höhere Anstieg an Kraft doch zumindest ein netter Bonus, findest du nicht?

 

Ein Sportler beeindruckt andere mit seinen Kraftleistungen, die er durch das Training mit niedrigen Wiederholungszahlen erreicht hat.

 

Außerdem ist meine persönliche Erfahrung, dass bei Nattys Kraft und Muskelaufbau oft Hand in Hand gehen und ich habe noch keinen guten Naturalbodybuilder gesehen, der nicht auch verhältnismäßig stark ist.

 

Niedrige Wiederholungszahlen machen es leichter, effektiv zu trainieren

Was meine ich damit? Um das zu verdeutlichen, stelle dir folgende Szenarien vor. Du machst einen Satz Kniebeugen bis kurz vorm Muskelversagen. Im ersten Szenario machst du 6 Reps und im zweiten verwendest du 25 Wiederholungen. Wie sieht das in der Praxis aus? Im ersten Szenario machst du 4 Wiederholungen, die fünfte wird schon erheblich langsamer sein und die sechste ist schon fast ein Grinder. Dann legst du die Stange ab und hast einen guten Muskelaufbaureiz gesetzt.

 

Im zweiten Szenario machst du 10 bis 15 Wiederholungen, die dir recht leicht fallen und dann pausierst du vor den nächsten Reps etwas, weil dir langsam der Sauerstoff ausgeht und du erst einmal durchatmen musst. Ab ca. Wiederholung 18 werden deine Arme langsam taub und deine Muskeln fangen aufgrund des eingelagerten Laktats an zu brennen. Ab der 20. Wiederholung wird dir schwummerig, du bist am Keuchen und musst dich zu jeder weiteren Wiederholung förmlich zwingen. Wenn du es schließlich geschafft hast, den Satz abzuschließen, und die Betonung liegt auf “wenn”, dann liegst du erst einmal 20 Minuten auf dem Boden und verfluchst dein Leben.

 

Wenn man nun berücksichtigt, dass beide Szenarien den gleichen Muskelaufbau erzeugen und das erste sogar mehr Kraft aufbaut, was würdest du dann vorziehen? Eben!

 

Der Punkt ist einfach: ein Satz sollte beendet werden, wenn der oder die Zielmuskeln ausgelastet sind und nicht, weil einem die Puste ausgeht. Atmennot, Schwindelgefühl oder zu starkes Brennen sollten nie die limitierenden Faktoren im Training sein, sondern Muskelversagen. Zumindest wenn das Trainingsziel in Hypertrophie besteht. Und das lässt sich mit niedrigen Wiederholungszahlen eben viel einfacher bewerkstelligen als mit hohen, bei denen die oben genannten Faktoren eine wesentlich größere Rolle spielen.

 

Hinzu kommt, dass bei Training mit schweren Gewichten von Anfang an alle Muskelfasern rekrutiert werden, während das bei höheren Wiederholungszahlen erst bei den letzten Reps der Fall ist. Wie wir bereits in unserem Artikel zum Muskelversagen besprochen haben, kann man deshalb bei niedrigen Wiederholungszahlen eher noch etwas weiter vom Muskelversagen entfernt bleiben und trotzdem effektiv Muskeln aufbauen, während man mit leichten Gewichten quasi gezwungen ist, wirklich bis ans Limit zu gehen.

 

Niedrige Wiederholungszahlen lassen sich besser regenerieren

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass die Belastung für das ZNS höher wäre, wenn man schwere Gewichte verwendet. Mal abgesehen davon, dass die Erschöpfung des ZNS bereits grundsätzlich massiv überschätzt wird, ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. In Wirklichkeit sind es eher hohe Wiederholungszahlen und ganz besonders Cardiotraining, die das zentrale Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen, während die Belastung beim Training mit schweren Gewichten so gering ist, dass sie meist noch nicht einmal überhaupt nachgewiesen werden kann. Wenn du mehr dazu wissen willst, empfehle ich dir diesen Artikel.

 

Auch wenn es oftmals synonym verwendet wird, ist zentrale Erschöpfung nicht die einzige Art von Erschöpfung und im Rahmen von Krafttraining vermutlich sogar die am wenigsten relevante. Aber auch bei anderen Arten der Erschöpfung in Bezug auf die benötigte Regenerationszeit sind niedrige Wiederholungszahlen überlegen. Einfacher ausgedrückt bedeutet das, dass du weniger Zeit brauchst, um dich von einem Training mit hohen Gewichten und niedrigen Wiederholungszahlen zu erholen als umgekehrt, wie Studien zeigen (5, 6).

 

Die Gründe dafür sind, dass hohe Wiederholungszahlen mehr Muskelschäden verursachen und aufgrund der längeren Belastungszeit mehr Calcium-Ionen eingelagert werden. Das ist besonders wichtig, wenn du mit einem hochfrequenten Trainingsplan trainierst, also z. B. einem GK oder 2er-Split. Mit hohen Wiederholungszahlen ist die Chance einfach größer, dass deine Muskeln in der nächsten Einheit noch nicht vollständig regeneriert sind, was die Leistung verringert und die Verletzungsgefahr erhöht.

 

Also nur noch niedrige Wiederholungszahlen?

Das habe ich nicht gesagt. Bei allen Vorteilen, die niedrige Wiederholungen bieten, sollte man doch auch ein paar Einschränkungen in Betracht ziehen.

 

Grundsätzlich kann man jede Übung auch mit wenigen Wiederholungen ausführen, also auch z. B. Seitheben usw. Was das angeht, so habe ich meine Meinung im Laufe der Jahre geändert, da ich früher eher dafür plädiert hätte, bestimmte Übungen immer im hohen Wiederholungsbereich zu trainieren. Aber nur weil man es kann, heißt das nicht, dass es auch immer im selben Maße Vorteile bringt.

 

Manche Übungen fühlen sich im niedrigen Wiederholungsbereich einfach nicht “richtig” an. Das lässt sich natürlich nicht pauschalieren und ist eine sehr subjektive Geschichte, aber es macht eben durchaus Sinn, auf den eigenen Körper zu hören, und wenn eine Übung sich in einem bestimmten Wiederholungsbereich nicht gut anfühlt, dann sollte man eben in einem anderen trainieren. Zumal speziell bei kleineren Muskeln Faktoren wie verstärkter Kraftaufbau, Erschöpfung während und nach dem Training und die Belastung für den Kreislauf einfach nicht so eine große Rolle spielen wie bei z. B. den Quads.

 

Die oben genannten Vorteile lassen sich nicht von der Hand weisen, aber es ist jetzt auch nicht so, dass der Wechsel auf niedrige Wiederholungszahlen ein absoluter Gamechanger wäre. Wenn du dich also damit besser fühlst, dann trainiere ruhig weiterhin im “klassischen” Hypertrophiebereich. Nur weil du 12 statt 6 Wiederholungen machst, wirst du z. B. auch nicht erheblich länger regenerieren müssen.

 

Wie so oft spielen auch individuelle Faktoren eine Rolle. So kann es auch einfach sein, dass für dich ein bestimmter Wiederholungsbereich besser funktioniert oder deine Regenerationsfähigkeit so gut ist, dass dieses Thema für dich einfach keine Rolle spielt.

 

Und niedrigere Wiederholungszahlen erhöhen zwar nicht per se die Verletzungsgefahr, solange die Technik passt. Immer nur mit schweren Gewichten zu trainieren kann aber (muss aber nicht) unter Umständen sehr belastend sein für Sehnen und Gelenke. Wenn du bereits mit Problemen in diesem Bereich zu kämpfen hast, wären ebenfalls höhere Wiederholungszahlen die bessere Wahl.

 

Und zu guter Letzt hat auch Kraftausdauer durchaus etwas für sich und diese würde man ebenfalls mit höheren Wiederholungszahlen trainieren. Zwar ist Kraftausdauer für die meisten Trainierenden wenig interessant und im Allgemeinen ist Maximalkraft der Wert, der über allen anderen Formen von Kraft thront, aber wenn du z. B. ruderst oder einen ähnlichen Sport betreibst, bei dem Kraft- und Ausdauerkomponenten kombiniert werden, dann hat ein Training im hohen Wiederholungsbereich einen deutlich besseren Übertrag.

 

Fazit

Im Allgemeinen bin ich ein großer Freund niedriger Wiederholungszahlen und schwerer Trainingsgewichte. Diese Art des Trainings macht mir persönlich einfach mehr Spaß und ich mag es nicht, wenn meine Ausdauer zum limitierenden Faktor im Training wird. Und ich denke, ich konnte auch gute Belege aufführen, warum diese Form des Trainings nicht nur für mich vermutlich besser ist als endloses High Rep-Gepumpe.

 

Aber am Ende ist es doch immer auch eine Frage der persönlichen Präferenzen. Auch wenn es gute Gründe für niedrige Wiederholungszahlen gibt, letztlich ist das Wichtigste, dass du Spaß hast im Training. Oder du machst es wie ich und variierst einfach, was die Wiederholungsbereiche angeht. Verwende bei den meisten Übungen, besonders den Mehrgelenksübungen, schwere Gewichte und niedrige Wiederholungszahlen und führe ergänzenden Übungen mit 10, 15 oder 25 Wiederholungen aus.

 

Aber wie siehst du das Ganze? Bist du eher Team “Low Rep” oder Team “High Rep”? Verrate es uns gern im Forum!

 

Quellen:

  1. Schoenfeld et al. (2017): Strength and hypertrophy adaptations between low- vs. high-load resistance training: a systematic review and meta-analysis 
  2. Morton et al. (2019): Muscle fibre activation is unaffected by load and repetition duration when resistance exercise is performed to task failure
  3. Lasevicius et al. (2018): Effects of different intensities of resistance training with equated volume load on muscle strength and hypertrophy
  4. Schoenfeld et al. (2015): Effects of Low- vs. High-Load Resistance Training on Muscle Strength and Hypertrophy in Well-Trained Men
  5. Haun et al. (2017): Molecular, neuromuscular, and recovery responses to light versus heavy resistance exercise in young men
  6. Bartolomei et al. (2017): Comparison of the recovery response from high-intensity and high-volume resistance exercise in trained men
  7. Griffin, Anderson (2008): Fatigue in high- versus low-force voluntary and evoked contractions
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