Wie gut war Dorian Yates?

Der Paradigmenwechsel im Bodybuilding Anfang der 90er-Jahre von der Ästhetik der Golden Era zur Ära der Massemonster ist untrennbar mit dem Namen eines Mannes verbunden, der diesen Sport so geprägt hat wie kaum ein anderer: Dorian Yates.

 

Spätestens mit dem Beginn seiner Regentschaft definierte der Mann, den man aufgrund seiner Angewohnheit, sich zwischen den Wettkämpfen vollständig aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, “The Shadow” nannte, völlig neu, worauf es in diesem Sport ankam, sprengte die Grenzen des Vorstellbaren und war somit in gewisser Hinsicht der Vater des modernen Bodybuildings.

 

Erreicht hat er das mit einem unvergleichlichen Arbeitseifer, Akribie und einem eisernen Willen. Grund genug also, dir diese Legende genauer vorzustellen – von seinen Anfängen in Birmingham bis zu seinem kontroversen letzten Mr. Olympia-Titel. Und natürlich gilt es auch, die Frage zu beantworten, wie gut Dorian Yates wirklich war!

 

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Leben und Karriere

Dorian Andrew Mientjez Yates wurde am 19. April 1962 in Solihull, England geboren. Aufgewachsen ist er auf einer Farm in der Nähe von Hurley. Als Dorian 13 Jahre alt war, verstarb sein Vater an einem Herzinfarkt, woraufhin er und seine Familie in einen der Randbezirke von Birmingham, Englands zweitgrößter Stadt, zogen. In diesem Umfeld entwickelte sich Dorian zu einem schwierigen Jugendlichen. Als seine Mutter drei Jahre später zurück nach Hurley zog, war er von nun an auf sich allein gestellt und schloss sich einer Skinhead-Gang an. Diese Entwicklung führte schließlich dazu, dass er im Alter von 19 Jahren zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verurteilt wurde.

 

Auf diesem Bild sieht man den jungen Dorian Yates als Mitglied einer Jugendgang.
Der junge Dorian Yates als Mitglied einer Jugendgang.

 

In der Haftanstalt vertrieb er sich mit Krafttraining seine Zeit und stellte dabei schnell fest, dass er stärker und muskulöser war als seine Mithäftlinge. Dorian war immer schon ein Einzelkämpfer gewesen, weshalb er sich auch nie für Mannschaftssportarten begeistern konnte. Nach eigener Aussage fand er den Gedanken unerträglich, zu verlieren, weil einer seiner Teamkameraden nicht 100 % Einsatz zeigte. Allerdings betrieb er ein wenig Kampfsport und hatte auch schon zu Schulzeiten hin und wieder mit Hanteln trainiert. Aber erst durch seine Haft begann er, sich ernsthaft mit Bodybuilding auseinanderzusetzen.

 

Nachdem er entlassen wurde, meldete er sich im legendären Temple Gym, einem legendären Hardcore-Gym, an. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 21 Jahre alt, also eher ein Spätzünder. Aber durch sein gewaltiges Talent und seinen Einsatz schaffte er es bereits 1985, also nur zwei Jahre später, das erste Mal auf die Bühne zu gehen und konnte bei den Westcoast Championships die Novice-Klasse auf Anhieb gewinnen.

 

Dorian Yates bei intensiven Bizepscurls zu Beginn seiner Karriere.
Dorian beim Absolvieren schwerer Bizepscurls mit einem Trainingspartner zu Beginn seiner Karriere.

 

Nur eine Woche später startete er bei den World Games und wurde Siebter im Schwergewicht, was die schlechteste Platzierung seiner gesamten Karriere darstellte. Deutlich besser lief es bei den britischen Meisterschaften 1986, bei denen er den Klassensieg im Schwergewicht erreichen konnte. Zwei Jahre später trat er erneut bei den British Championships an und gewann dieses Mal nicht nur seine Klasse, sondern auch den Gesamtsieg und damit einhergehend auch die Pro Card der IFBB. Insgesamt trat Dorian Yates damit nur viermal als Amateur an und konnte dabei drei Siege einfahren.

 

Doch nun war es an der Zeit, sich mit den besten Athleten der Welt zu messen. In dieser Zeit wurde die Weltspitze beinahe ausschließlich von US-Amerikanern dominiert und Freunde hatten Dorian gewarnt, dass er in den Staaten als vollkommen unbekannter Europäer kaum eine Chance erhalten würde. Aber Dorian ließ sich davon nicht beunruhigen, sondern arbeitete daran, ein Paket auf die Bühne zu bringen, das den Judges gar keine andere Wahl ließ, als ihn zu beachten. Und das sollte ihm auch gelingen.

 

Bei seinem ersten Proficontest, der Night of Champions 1990, stand er gerade fünf Minuten auf der Bühne, als die ersten „Dorian“-Sprechchöre in der Halle zu hören waren. Zwar musste er sich letztlich mit einem zweiten Platz hinter dem Sieger, Mohammed (genannt “Momo”) Benaziza, begnügen, aber dabei konnte er bereits bei seinem Debüt eine ganze Liste an gestandenen Athleten wie z. B. Danny Padilla, Robbie Robinson und andere hinter sich lassen.

 

Im Jahr darauf kam es erstmals zu einem Treffen mit seinem ehemaligen Idol Mike Mentzer. Dieser erläuterte ihm die Vorteile des HIT-Trainingssystems, das von Arthur Jones entwickelt worden war und in Mentzer einen großen Fürsprecher gefunden hatte. Im Gegensatz zum im Bodybuilding weitverbreiteten Volumen-System wurde bei diesem mit nur geringem Volumen und niedriger Frequenz, dafür aber mit maximaler Intensität gearbeitet, indem jeder Satz zum Teil bis weit über das Muskelversagen hinaus ausgeführt wurde. Dieser Ansatz klang für Dorian logisch und nachvollziehbar, weshalb er fortan selbst ausschließlich nach diesem System trainierte. Und dies schien sich auszuzahlen.

 

Dorian Yates zusammen mit seinem Mentor Mike Mentzer.
Dorian Yates und Mike Mentzer.

 

1991 trat er zunächst beim Grand Prix von England an und konnte damit bei seiner zweiten Show als Profi bereits den ersten Sieg einfahren. Anschließend ging er erneut bei der Night of Champions an den Start und dieses Mal konnte ihn niemand mehr aufhalten. Seine Kombination aus Masse, Härte und Symmetrie war einfach zu viel für die Konkurrenz und damit gehörte Dorian nach nur drei Profiwettkämpfen zur Weltspitze.

 

Deshalb war es nun an der Zeit, sich beim wichtigsten Wettkampf im Bodybuilding, dem Mr. Olympia, einen Namen zu machen. Zu dieser Zeit wurde der Mr. Olympia nach Belieben von Lee Haney dominiert, der bereits sieben Titel eingefahren hatte und keinerlei Zeichen von Verschleiß oder Schwäche zeigte. Dementsprechend gingen alle Beobachter auch davon aus, dass Lee auch in diesem Jahr seinen Titel mühelos verteidigen würde. Nur einer wollte sich nicht mit Haneys vermeintlicher Unverwundbarkeit abfinden: Dorian Yates.

 

Und das aus gutem Grund: Zum ersten Mal seit Jahren musste sich der Champ einem Konkurrenten stellen, der ihm in Sachen Masse mehr als ebenbürtig war und in Sachen Härte selbst einem Rich Gaspari Paroli bieten konnte, der brutale Definition überhaupt erst salonfähig gemacht hatte. Üblicherweise konnte Haney die anderen Teilnehmer spätestens in den Rückenposen deklassieren, aber im Vergleich mit Dorian wirkte er selbst in diesen nicht mehr so dominant wie sonst. Trotzdem schaffte er es, sich an diesem Abend die achte Sandow zu holen und beendete seine Karriere anschließend – vermutlich in weiser Voraussicht, dass die Zukunft Dorian gehörte. Dieser musste sich aber noch ein Mal mit einem zweiten Platz begnügen. Es sollte der letzte Wettkampf in seiner Karriere bleiben, den er nicht als Sieger verließ.

 

Da Lee Haney seine Karriere beendet hatte, ging Dorian als klarer Favorit ins Rennen, zumal er zuvor auch bereits den Grand Prix von England erneut gewinnen konnte. Auf dem zweiten Platz landete dabei ein Newcomer namens Kevin Levrone. Dieser war es auch, der ihn beim Mr. Olympia mit einer Kombination aus Ästhetik, Masse und guter Form mehr forderte, als die meisten vermutet hätten. Zwar konnte er letztlich mit Dorians bereits damals überwältigender Muskelmasse nicht mithalten, der sich zum ersten Mal zum Mr. Olympia krönen konnte, aber trotzdem wurde er ihm weitaus gefährlicher, als man im Vorfeld vermuten konnte. Deshalb fragten sich einige, ob Dorian den Titel vielleicht bereits im nächsten Jahr wieder verlieren würde.

 

Aber was dann folgte, ist nicht weniger als ein Stück Bodybuilding-Geschichte. Im Gegensatz zu den anderen Athleten aus der Weltspitze lebte Dorian Yates nicht in Kalifornien und trainierte nicht im Gold’s Gym, dem Mekka des Bodybuildings. Stattdessen zog er sich nach jedem Wettkampf umgehend nach Birmingham zurück, um sich im Temple Gym auf seine nächste Show vorzubereiten, und ließ monatelang nichts von sich hören – und erst recht nichts von sich sehen. Deshalb, und weil er im Vorfeld nie ankündigte, dass er an einem Wettkampf teilnahm, erhielt er von einem Redakteur der Flex den Spitznamen „The Shadow“.

 

Umso größer war der Schock, als plötzlich Bilder von ihm auftauchten, die heute zu den bekanntesten Fotos der Bodybuilding-Geschichte gehören. Auf diesen zeigte sich Dorian so unglaublich massiv, dass er selbst seine eigene Form aus dem Vorjahr wie einen Trainingsanfänger wirken ließ. Und als wäre das nicht genug, war er auch in exzellenter Form, obwohl es noch Monate bis zum Mr. Olympia waren. Mit dieser Form hatte Dorian das Game auf ein komplett neues Level gehoben, und wer die Bilder gesehen hatte, wusste bereits, dass es beim Mr. Olympia für alle anderen nur maximal um den zweiten Platz gehen konnte. Und so war es auch. Was Dorian 1993 präsentierte, war nichts anderes als der Beginn der Massemonster-Ära. Aber dabei war er nicht einfach nur massiv, sondern war zudem auch so trocken, dass er wie ein Anatomieschaubild wirkte. Das zwang natürlich auch alle anderen Athleten dazu, in Sachen Masse gravierend aufzurüsten, womit das Zeitalter der Freaks begann.

 

1994 erwartete natürlich jeder einen weiteren ungefährdeten Sieg von Dorian. Allerdings riss sich Dorian nur sechs Wochen vor dem Mr. Olympia den Bizeps am linken Arm. Und als wäre das nicht genug gewesen, zog er sich nur einen Tag vor dem Event auch noch eine Magen-Darm-Erkrankung zu, die seine Form zusätzlich beeinträchtigte und seine Mittelpartie aufgebläht erscheinen ließ. Ursprünglich hatte Flex Wheeler als Dorians ärgster Widersacher gegolten, dieser schied aber aufgrund eines schweren Autounfalls aus. Kevin Levrone hielt sichtbar Wasser und war an diesem Abend deshalb keine echte Gefahr. Aber Shawn Rays Form war absolut on point und zudem hatte er auch die ästhetischste Struktur und das beste Posing. Deshalb war Dorians dritter Sieg in Folge durchaus nicht unumstritten und für viele war diese Entscheidung sogar der endgültige Beweis, dass im Bodybuilding nur noch Masse allein zählte und der Schönheitsaspekt keine Rolle mehr spielte.

 

1995 konzentrierte sich Dorian ausschließlich auf den Mr. Olympia und nahm an keinen weiteren Wettkämpfen teil. Nach seinem eher enttäuschenden Auftritt im Jahr zuvor hatte er etwas gutzumachen. Zwar war der Bizepsabriss immer noch sichtbar und störte bei den Frontposen ein wenig die Symmetrie, allerdings kam Dorian auch in der vielleicht trockensten Form, was bei seinem ohnehin schon beeindruckenden Resümee in Sachen Härte natürlich besonders beeindruckend war. Somit war für die Konkurrenz erneut nichts zu holen, obwohl auch Kevin Levrone eines seiner besten Pakete an den Start bringen konnte und den zweiten Platz erringen konnte.

 

Auch 1996 bot sich den Zuschauern ein ähnliches Bild. Vor dem Mr. Olympia hatte Dorian bereits die Grand Prix von England, Deutschland und Spanien gewonnen Und auch beim Highlight des Jahres gab es an ihm kein Vorbeikommen. Allein schon sein grandioser Rücken sicherte ihm drei Posen und auch in allen anderen war er stark. Die einzige Pose, die er abschenken musste, war die Front Double Biceps – was er aber verschmerzen konnte. Somit ging der Titel auch 1996 wieder an Dorian Yates.

 

1997 wollte Dorian seinen Titel erneut verteidigen. Wie bereits 1995 nahm er an keinem der regulären Wettkämpfe in der Saison teil, sondern richtete seinen ganzen Fokus auf den Mr. Olympia. Allerdings musste Dorian seinem unmenschlichen Training, das er auch noch in der Endphase der Vorbereitung durchzog, schließlich Tribut zollen. So riss er sich nur drei Wochen vor dem Mr. Olympia auch noch den Trizeps an seinem ohnehin schon ramponierten linken Arm ab und konnte daraufhin bis zur Show überhaupt nicht mehr trainieren. Die meisten anderen Bodybuilder hätten in dieser Situation die Teilnahme abgesagt… aber Dorian war nicht wie die meisten anderen. So entschied er sich, die Verletzung zu verschweigen, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf diese zu lenken, die Verfärbung mit Posing-Tan zu überdecken und trotzdem anzutreten.

 

Trotz all seiner Versuche, den verletzten Arm zu verbergen, war dieser mehr als offensichtlich zu erkennen, und auch die Form war durch den Stress und die Entzündungen nicht mehr so trocken wie gewohnt. Ihm gegenüber stand zudem ein Nasser El Sonbaty in der Form seines Lebens, der ihn in den Frontposen auch deutlich schlagen konnte. Allerdings war Dorian in den Rückenposen noch immer quasi unschlagbar und verstand es zudem hervorragend, seine Schwächen zu verdecken, indem er nach Möglichkeit nur seinen gesunden Arm präsentierte, z. B. in den Seitposen.

 

Als am Ende erneut Dorian zum Sieger erklärt wurde, waren die Zuschauer trotzdem geradezu schockiert, und noch heute gilt dies als eine der kontroversesten Entscheidungen beim Mr. Olympia – auch wenn es durchaus auch Argumente dafür gibt, dass Dorian tatsächlich den Sieg verdient hat. Aber wie dem auch sei, Dorian wusste, dass er nur knapp einer Niederlage entgangen war. Da zudem auch sein Arm nie mehr derselbe sein würde und auch seine Leidenschaft für Bodybuilding zuletzt etwas nachgelassen hatte, entschied er sich, seine Karriere mit sofortiger Wirkung zu beenden.

 

Stärken und Schwächen

Üblicherweise beginne ich diesen Abschnitt mit den Stärken eines Athleten und beschließe ihn mit dessen Schwächen. In Dorians Fall ist dieser Punkt allerdings schnell besprochen, denn eine echte Schwäche hat der sechsfacher Mr. Olympia einfach nicht. Sicher, Dorian war nicht der ästhetischste Athlet und hatte nicht die schmalste Taille. Aber da er sehr starke Abs und Beine hatte, war dieser Faktor selbst bei der Abs-&-Thighs-Pose nie wirklich relevant, zumal er dieses Defizit mit Masse wieder ausgleichen konnte.

 

Und ja, auch seine Arme waren sicher nicht die besten in der Geschichte dieses Sports, aber eben auch keinesfalls schlecht – zumindest vor seinen Abrissen. Der ganze Rest seines Körpers war hervorragend entwickelt, selbst oftmals vernachlässigte Partien wie die Unterarme und Waden waren herausragend. Aber Dorians mit Abstand größte Stärke war sein unfassbarer Rücken, der epochenübergreifend zu den besten in der Bodybuilding-Geschichte gehört. Was diesen noch besser zur Geltung brachte, war der ultratrockene Granit-Look, den Dorian regelmäßig präsentierte. Gerade in den späteren Jahren seiner Karriere gab es durchaus Athleten, die in Sachen Masse mit ihm mithalten konnten, aber die Kombination aus Masse und rasiermesserscharfer Form, die Dorian an den Start brachte, war einzigartig.

 

Der gewaltige Rücken von Dorian Yates (hier zu sehen in der Back Double Biceps) gilt als eine seiner größten Stärken.
Der gewaltige Rücken von Dorian Yates gilt als eine seiner größten Stärken.

 

Oft unterschätzt ist auch Dorians Fähigkeit, seinen Körper stets optimal zu präsentieren. Zwar war er kein so eleganter und kreativer Poser wie manch anderer, aber er verstand sich dafür hervorragend darauf, seine Schwächen auf der Bühne zu kaschieren und seine Stärken in den Fokus zu rücken. Dieser Fähigkeit hatte er auch zu verdanken, dass er trotz seiner Abrisse noch immer nicht zu schlagen war.

 

Aber vielleicht noch wichtiger für seinen Erfolg war Dorians mentale Stärke und seine akribische Vorgehensweise. Noch heute besitzt er Aufzeichnungen zu jeder einzelnen seiner Trainingseinheiten seit 1983. Diese benötigte er für sein systematisches Vorgehen in Sachen Trainingsplanung. So änderte er stets nur einen einzigen Faktor im Training – zum Beispiel eine andere Übung –, behielt diese Änderungen für mindestens einige Wochen bei und analysierte dann, ob diese Änderung zu Verbesserungen geführt hat. Das ermöglichte ihm, sein Training immer weiter zu optimieren.

 

Auch seine Angewohnheit, sich zwischen den Wettkämpfen in sein Keller-Gym in Birmingham zurückzuziehen und nie nach Kalifornien zu ziehen, obwohl sich dies finanziell rentiert hätte, war nicht nur seiner scheuen Art geschuldet, sondern ebenfalls Ausdruck seiner Zielstrebigkeit. Er befürchtete einfach, dass die Ablenkungen und Versuchungen in L.A. seine Konzentration beeinträchtigen könnten und er war nicht bereit, auch nur ein Prozent abzuschenken.

 

Und wie bereits Arnold vor ihm war Dorian auch ein Meister psychologischer Kriegsführung. Dazu gehörte auch seine Vorgehensweise, abgesehen von 1993, niemals außerhalb der Wettkämpfe seinen Körper zu zeigen oder Interviews zu geben. Seine Gegner sollten einfach niemals einschätzen können, in welcher Verfassung er sich befand. Selbst im Backstage-Bereich zog er seinen Trainingsanzug erst Sekunden, bevor er auf die Bühne ging, aus, um seine Konkurrenz so lange wie möglich im Ungewissen zu lassen.

 

Und natürlich müssen wir auch noch einen Faktor erwähnen, für den Dorian vielleicht bekannter ist als für seine Olympia-Titel. Ich meine damit natürlich seine völlig verrückte, geradezu unmenschlich brutale Art zu trainieren. Dorians Trainingseinheiten waren zwar kurz, aber in Sachen Intensität konnte ihm – abgesehen von Tom Platz vielleicht – niemand das Wasser reichen. Wenn andere Pros mit ihm trainierten, was selten vorkam, mussten sich diese regelmäßig übergeben oder verließen fluchtartig das Gym, um sich nicht zu blamieren. Wenn er vor dem Mr. Olympia doch mal im Gold’s Gym trainierte, packten seine Konkurrenten ihre Sachen und gingen, weil sie neben ihm wie Rehasportler wirkten.

 

Allerdings muss man dazu auch sagen, dass dieser Trainingsstil es ihm nicht nur ermöglichte, zu einem der massivsten Athleten seiner Zeit zu werden und genetisch besser aufgestellte Konkurrenten hinter sich zu lassen, sondern auch seinen Tribut forderte und ihm zahlreiche schwere Verletzungen bescherte.

 

Urteil und Video

Im Vergleich zu anderen Athleten hatte Dorian Yates eine vergleichsweise kurze Karriere. In seinen sieben Jahren als Profi stand er insgesamt nur 17 Mal auf der Bühne. Allerdings gewann er von diesen 17 Wettkämpfen unglaubliche 15, und bei den beiden anderen wurde er Zweiter. Nur zwei Bodybuilder konnten Dorian in seiner Profikarriere somit überhaupt jemals schlagen. Und als ob diese Statistik nicht beeindruckend genug wäre, erreichte er diese Erfolge in der vielleicht am dichtesten besetzten Ära des Bodybuildings – und gegen Legenden wie Kevin Levrone, Shawn Ray, Flex Wheeler, Nasser El Sonbaty und andere große Namen.

 

Und trotz Verletzungen, die für die meisten anderen Athleten das Karriereende bedeutet hätten, konnte ihn keiner von diesen schlagen – wobei es 1994 knapp und 1997 äußerst umstritten war. Nichtsdestotrotz ist das Urteil in diesem Fall eindeutig: Dorian Yates ist einer der absoluten GOATs dieses Sports und für mich persönlich in der Top 3 der besten Bodybuilder aller Zeiten. Hätte er sich nie einen Muskel abgerissen und seine Form von 1993 noch getoppt, wäre er sogar ein Anwärter auf den Thron.

 

Dorian war es auch, der die Ära der Massemonster einleitete und Masse zum wichtigsten Faktor im Bodybuilding machte. Das erreichte er nicht nur durch hartes Training, sondern auch, indem er mit Substanzen experimentierte, die bis dahin im Bodybuilding kaum oder gar nicht zum Einsatz kamen – wie zum Beispiel Wachstumshormone.

 

Allerdings muss man sagen, dass nicht alle diese Entwicklung begrüßen und viele auch der Meinung sind, Dorian habe dem Sport einen Bärendienst erwiesen und Bodybuilding habe sich durch ihn in eine falsche Richtung entwickelt. Seine Masse zwang alle anderen Athleten in ein Wettrüsten, das zum einen den Sport deutlich gefährlicher gemacht hat und zum anderen dessen ursprüngliche Ideale zu einem gewissen Grad ad absurdum geführt hat. Bodybuilder waren ab den 90ern für die breite Masse nicht mehr Ausdruck eines maskulinen Schönheitsideals und nicht mehr erstrebenswert, sondern Freaks, die eher bestaunt als bewundert wurden.

 

Dorian war auch der wahrscheinlich bekannteste Befürworter des HIT-Trainings, das aus vergleichsweise kurzen, aber hochintensiven Einheiten bestand. Dorian war der Meinung: Wenn man überhaupt in der Lage war, noch einen zweiten Satz auszuführen, dann war der erste nicht hart genug gewesen. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass Dorians Trainingsplan auch zahlreiche Hinführungssätze beinhaltete und er durchaus auch mal mehr als nur einen Satz ausgeführt hat. Jedenfalls ist sein Name mindestens ebenso mit dem HIT-System verbunden wie der von Mike Mentzer und Arthur Jones.

 

Heute lebt Dorian mit seiner Frau, einem bekannten Fitnessmodell, auf Marbella und erfreut sich trotz seiner Vergangenheit bester Gesundheit. Statt ultrahartem Training verbringt er seine Zeit heute lieber mit Yoga und Pilates. Das passt auch zu seiner ausgeprägten spirituellen Ader und Dorian ist ein großer Fürsprecher für den Einsatz psychedelischer Drogen und Cannabis.

 

Und auch seine einstige Scheu vor den Medien hat er inzwischen überwunden und ist oft Gast in diversen Podcasts und Interviews, wo er seine Meinung zu diversen Themen gerne und unverblümt zum Besten gibt. Manchmal vielleicht auch einen Tick zu unverblümt, da Dorian auch einen Hang zu Verschwörungstheorien hat und unter anderem auch den Holocaust für einen Hoax hält. Trotzdem wünsche ich Dorian Yates natürlich alles Gute für die Zukunft!

 

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