Wächst der Bizeps durch Kniebeugen?
…oder Beintraining & Testosteron

Sind wir mal ehrlich, es gibt angenehmere Arten, seine Zeit zu verbringen als intensives Beintraining. Selbst im Vergleich zum Training anderer Muskelpartien ist ein Leg Day meist ausgesprochen anstrengend und bisweilen gar schmerzhaft. Es gehört schon einiges an Disziplin dazu, sich diese Nahtoderfahrung Woche für Woche anzutun und man muss schon eine ausgeprägte masochistische Ader mitbringen, um das auch noch zu genießen.

 

Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass gerade Anfänger dazu tendieren, das Beintraining öfters mal zu skippen oder generell etwas zu vernachlässigen. Dass man die Dinger bekanntlich im Club nicht mal sieht, trägt auch nicht gerade dazu bei, eine gut ausgeprägte Beinmuskulatur auf der persönlichen Prioritätenliste nach oben zu pushen.

 

Um Anfängern und Beintrainingsmuffeln das Training des Unterkörpers trotzdem schmackhaft zu machen, hört man immer wieder das Argument, dass durch Beintraining indirekt auch andere Muskeln wachsen würden. Oder, wie ich es so plakativ als Titel für diesen Artikel gewählt habe, dass “durch Kniebeugen der Bizeps wächst”. Aber stimmt das wirklich?

 

 

Die Theorie zu Testosteron & Wachstum durch Beintraining

Argumentiert wird in diesem Zusammenhang gerne damit, dass durch das Training der Beine vermehrt Wachstumshormone ausgestoßen würden, welche sich dann auch positiv auf das Wachstum anderer Muskelpartien auswirken würden.

 

Und ja, das stimmt. Beintraining bzw. das intensive Training größerer Muskelpartien löst tatsächlich einen starken Ausstoß von Wachstumshormonen aus, wie in zahlreichen Studien festgestellt wurde (1, 2). Genauer gesagt, werden nicht nur mehr Wachstumshormone, sondern auch mehr Testosteron und mehr IGF-1 ausgestoßen bzw. ist nach dem Training ein deutlicher Anstieg dieser Hormone im Blut nachweisbar. Und dass diese drei genannten einen starken Einfluss auf Hypertrophie haben, sollte für niemanden eine Überraschung darstellen.

 

Beintraining an einer Beinstrecker-Maschine für mehr Testosteron und Muskelwachstum im Bizeps.
In der Theorie kann sich Beintraining tatsächlich positiv auf das Wachstum anderer Muskeln (etwa des Bizeps) auswirken.

 

Beintraining führt also tatsächlich zu einer verstärkten Ausschüttung von anabolen Hormonen, womit die These also bewiesen wäre, oder? Nun ja, ganz so einfach ist es dann doch nicht…

 

Das Problem mit der Theorie

Ja, die genannten Hormone wirken anabol und eine hohe Konzentration dieser im Blut führt definitiv zu gesteigertem Muskelwachstum. Damit dieser Effekt aber eintritt, müssen die Werte dauerhaft und langfristig erhöht sein, wie es bei der exogenen Zufuhr (also beim „Stoffen“) der Fall wäre. Der durch Widerstandstraining ausgelöste Anstieg ist hingegen temporär, also nur ein kurzzeitiger Peak und reguliert sich nach wenigen Stunden wieder auf ein normales Niveau herunter.

 

Die Prämisse, dass die trainingsinduzierte Ausschüttung dieser Hormone einen direkten Einfluss auf das Muskelwachstum hätte, wurde zwar auch in der Wissenschaft lange angenommen, hat sich aber als falsch erwiesen. So konnte in Studien weder ein indirekter, durch Auswirkungen auf die Proteinsynthese (3, 4), noch ein direkter Effekt auf Muskelhypertrophie (5, 6) durch den Hormonanstieg nach einer Trainingseinheit festgestellt werden.

 

Ein Bodybuilder blickt auf seinen angespannten Bizeps nach einem Beintraining zur Testosteron-Steigerung.
Du hast beim Beintraining vor allem deinen Bizeps im Blick? Dann haben wir schlechte Nachrichten für dich…

 

Übrigens wird dieser Ausstoß nicht nur durch das Training großer Muskelgruppen verstärkt, sondern auch durch kurze Pausenzeiten. Und wie wir bereits in unserem Artikel zu den optimalen Satzpausen besprochen hatten, führen kurze Pausenzeiten (bei Grundübungen) nicht zu einer Steigerung der Hypertrophie, sondern mindern sogar die Effektivität einzelner Sätze. Hätte der Hormonanstieg einen positiven Effekt auf Muskelwachstum, müsste also das Gegenteil der Fall sein.

 

Du willst es noch konkreter?

Aber gerne. Tatsächlich gibt es sogar eine Studie (7), in der ganz konkret die Auswirkungen von Beintraining bzw. den dadurch ausgelösten Anstieg anaboler Hormone auf das Wachstum des Bizeps untersucht wurde. In dieser Studie von West und Kollegen wurden die Probanden in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe (Low Hormone = LH) führte dabei 3 bis 4 Sätze á 8-12 Wiederholungen Bizepscurls bis kurz vor Erreichung des Muskelversagens aus. Die zweite Gruppe (High Hormone = HH) absolvierte zusätzlich zu den Curls auch noch 5 Sätze an der Beinpresse sowie 3 Supersätze zwischen Beinstrecker und Beinbeuger. Wie zu erwarten, war der Anstieg an Testosteron, Wachstumshormonen und IGF-1 bei der HH-Gruppe erheblich größer als bei der LH-Gruppe. Tatsächlich war der eigentliche Zweck der Studie auch nicht, die Auswirkung von Beintraining, sondern des dadurch ausgelösten Hormonausstoßes auf das Wachstum des Bizeps zu untersuchen. Das Beintraining war hier quasi nur Mittel zum Zweck.

 

Laktat, Gesamt-Testosteron, Wachstumshormone, freies Testosteron, IGF-1 und Cortisol in Ruhe und nach Belastungsprotokollen.
Vollblutlaktat (A) und Serumkonzentrationen von Wachstumshormonen (GH; B), IGF-1 (C),
Gesamttestosteron (D), freiem Testosteron (E) und Cortisol (F) in Ruhe und nach
Belastungsprotokollen mit niedrigem Hormonspiegel (LH) und hohem Hormonspiegel (HH).

 

Das Ergebnis war, dass der Muskelzuwachs im Armbeuger bei beiden Gruppen nahezu identisch war. Weder das zusätzliche Beintraining per se, noch das erhöhte Hormonlevel hatten also einen positiven Einfluss auf die Hypertrophie des Bizeps.

 

Querschnittsfläche der Ellenbogenbeuger vorher und nachher.
Querschnittsfläche (CSA) der Fasern vom Typ I (A) und II (B) des Bizeps brachii
vor (Pre) und nach (Post) dem Training sowie der Ellenbogenbeuger.

 

Fazit zum Thema Beintraining & Testosteron

Es gibt zahlreiche gute Gründe, deine Beine zu trainieren. Dass davon der Bizeps, oder sonstige Muskeln indirekt profitieren bzw. besser wachsen würden, gehört aber nicht dazu. Und nicht nur das, auch der gesteigerte Ausstoß von anabolen Hormonen durch Trainingsreize hat keinen signifikanten Effekt auf das Muskelwachstum. Wenn dir also jemand zukünftig weismachen will, dass eine bestimmte Art des Trainings überlegen sei, weil dadurch mehr Wachstumshormone ausgestoßen würden, dann ist zumindest Skepsis angebracht. Selbst dann, wenn sich Aussage in Sachen Hormonausschüttung,  belegen ließe, heißt das eben noch nicht, dass dies auch in mehr Muskeln resultiert. Also nein, durch Kniebeugen wächst der Bizeps nicht. Das ist ein Mythos.

 

Übrigens, wenn es dir jetzt doch an Motivation fehlt, deine Haxen zum Wachsen zu bringen, dann habe ich zum Abschluss vielleicht doch noch etwas anzubieten. So bin ich bei meiner Recherche zu diesem Artikel zufällig über eine Studie (8) gestolpert, bei der ein volumen- bzw. hypertrophielastiges Beintraining (im Vergleich zu einem rein kraftorientierten) die Kraftleistungen im Oberkörper erheblich steigern konnte. So wächst durch einen ausgiebigen Beintag vielleicht nicht der Bizeps, aber dafür kannst du dadurch eventuell zumindest mehr auf der Bank drücken. Ist doch auch was!

Und? Hast du es gewusst? Kommentiere gern im Forum, ob dir unser Artikel gefallen hat und du etwas Neues für dich mitnehmen konntest!

 

Quellen:

  1. Kraemer et al (1993): Changes in hormonal concentrations after different heavy-resistance exercise protocols in women
  2. Kraemer et al. (1990): Hormonal and growth factor responses to heavy resistance exercise protocols
  3. West et al. (2009): Resistance exercise-induced increases in putative anabolic hormones do not enhance muscle protein synthesis or intracellular signalling in young men
  4. West et al. (2012): Sex-based comparisons of myofibrillar protein synthesis after resistance exercise in the fed state
  5. Morton et al. (2016): Neither load nor systemic hormones determine resistance training-mediated hypertrophy or strength gains in resistance-trained young men
  6. Schoenfeld et al. (2018): The role of hormones in muscle hypertrophy
  7. West et al. (2009): Elevations in ostensibly anabolic hormones with resistance exercise enhance neither training-induced muscle hypertrophy nor strength of the elbow flexors
  8. Bartolomei et al. (2018): Effect of Lower-Body Resistance Training on Upper-Body Strength Adaptation in Trained Men
  9. West & Phillips (2011): Associations of exercise-induced hormone profiles and gains in strength and hypertrophy in a large cohort after weight training
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