Es ist immer das gleiche Spiel: Alle paar Monate kommt wieder irgendjemand mit einer Studie um die Ecke, welche die Wissenschaftsszene in Aufruhr versetzt. Vor kurzem war es mal wieder so weit. Menno Henselmans war einer der Ersten, die in einem Instagram-Post eine neue Studie von Andersen und Kollegen (1) besprachen, die es wirklich in sich hatte, da deren Ergebnis viele der bisherigen Annahmen zu Trainingsintensität infrage stellte…
Dies gilt besonders, da in der Trainingswissenschaft aktuell ohnehin eine hitzige Debatte zum Thema Trainingsvolumen und Intensität geführt wird. Auf der einen Seite dieser Diskussion stehen die Traditionalisten, die den Ansatz vertreten, dass mehr Volumen auch zu mehr Gains führen würde. Auf der anderen Seite steht die Fraktion um Chris Beardsley, die Volumen für vollkommen überschätzt hält und sich eher für maximale Intensität bei geringem oder moderatem Volumen aussprechen. Aber was genau steht denn nun eigentlich drin in der Studie?
Die Studie
In der Studie trainierten 10 erwachsene Menschen (im Gegensatz zur Darstellung in Henselmans’ Post waren aber nur 3 davon Männer) mit durchschnittlich 4,5 Jahren Trainingserfahrung über 9 Wochen lang die Beine mit unilateralem Beinstrecken und unilateraler Beinpresse, jede Übung jeweils zweimal die Woche.
Das “unilateral” ist dabei ein entscheidendes Kriterium, denn es wurde ein sogenanntes Within-Subject-Design verwendet. Dieses Design haben wir bereits in anderen Artikeln besprochen. Es bedeutet, dass die Probanden nicht in Gruppen aufgeteilt wurden, sondern je ein Bein auf die eine und das andere Bein auf eine andere Art trainiert haben. Das hat gleich mehrere Vorteile: So werden Unterschiede in Sachen Genetik, Lebensumstände und Ernährung negiert und man erhält auch mit kleineren Teilnehmerzahlen valide Ergebnisse. In der Regel spricht diese Methode also für ein ausgeklügeltes Studiendesign.
Der Clou an der Studie war jedenfalls, dass ein Bein bis zu einer Verringerung der Ausführungsgeschwindigkeit von 30 % trainiert wurde, während das andere Bein bereits ab einem Geschwindigkeitsverlust von 15 % den Satz beendete. In der Praxis bedeutete das, dass ein Bein durchschnittlich 14 Reps je Satz ausführte, das andere aber nur 7.
Das ist übrigens auch ein Missverständnis bei der Interpretation dieser Studie. Oft wird es dargestellt als ob ein Bein mit 7 Reps in Reserve trainiert worden wäre. Tatsächlich ist es aber sogar noch mehr, da auch ein Geschwindigkeitsverlust von 30% noch kein Muskelversagen darstellt, sondern eher im Bereich von RIR 1 oder 2 liegt.
Das Bein, das nur 7 Reps je Satz ausführte, absolvierte doppelt so viele Sätze, um am Ende die gleiche Gesamtzahl an Wiederholungen wie das andere Bein zu erreichen.
Am Ende der Studie wurden sowohl die Maximalkraft (anhand der Beinpresse) als auch der Muskelquerschnitt gemessen. Das überraschende Ergebnis war, dass diese Werte bei beiden Beinen quasi identisch waren.
Henselmans, der als Befürworter eines hohen Trainingsvolumens gilt, interpretierte diese Ergebnisse als klaren Beleg dafür, dass Volumen “King” sei.

Moment mal…
Diese Studie war auch deshalb so aufsehenerregend, weil sie gleich in mehrfacher Hinsicht einigen Annahmen widersprach, die bisher für die Bedeutung von Trainingsintensität galten. So stehen die Ergebnisse in direktem Widerspruch zu Beardsleys “Effective Reps”-Theorie, nach der die letzten 5 Reps vor dem Muskelversagen wirklich effektiv in Sachen Muskelaufbau wären.
Auch im Allgemeinen schien sich immer mehr herauszukristallisieren, dass zumindest bis in die Nähe des Muskelversagens (ca. RIR 2-3) trainiert werden muss, um effektiv Muskeln aufzubauen, wie wir unter anderem in diesem Artikel besprochen haben. In diesem Artikel haben wir auch die Studie von Karsten und Kollegen (2) besprochen, die einen ähnlichen Aufbau hatte und bei der die Gruppe, die eine höhere Intensität verwendete, wesentlich bessere Ergebnisse erzielte. Und das, obwohl auch in diesem Versuch die Gruppe mit der niedrigeren Intensität mehr Sätze absolvierte und zudem mit RIR 5 sogar noch härter trainierte als die 7-Rep-Gruppe aus der Studie von Andersen.
Und es gibt sogar eine Studie (3), die ebenfalls mit der Reduzierung der Ausführungsgeschwindigkeit als Kennzahl gearbeitet hat und auch bei dieser war das Muskelwachstum höher, wenn bis zu einem höheren Geschwindigkeitsverlust trainiert wurde, obwohl auch hier selbst in der Low-Intensity-Gruppe intensiver trainiert wurde (allerdings war es hier kein Within-Subject-Design).
Das waren jetzt nur einige wenige Beispiele, aber es gibt noch deutlich mehr Studien, die zu dem Schluss kommen, dass ein gewisses Maß an Intensität zwingend erforderlich ist, um Muskeln aufzubauen.
Der Vollständigkeit halber sollte man aber auch noch die Studie von Lasevicius und Kollegen (4) erwähnen, bei der tatsächlich eine Gruppe mit RIR 5 und einem zusätzlichen Satz ebenfalls gleichwertige Ergebnisse erzielen konnte. Allerdings waren hier die Probanden untrainiert, was einen erheblichen Einfluss hat, da Anfänger eine niedrigere Reizschwelle für Muskelaufbau haben.
Ungereimtheiten
Ein weiterer Grund, warum die Andersen-Studie solche Wellen geschlagen hat, liegt darin, dass es gar nicht mal so leicht ist, diese pauschal als Unsinn abzutun. So besteht ein häufig genannter Kritikpunkt an Studien darin, dass untrainierte Teilnehmer verwendet wurden oder die Probandenzahl zu gering war. Aber diese Studie wurde an Teilnehmern mit mehrjähriger Trainingserfahrung durchgeführt und die geringe Teilnehmerzahl wurde durch das Within-Subject-Design ausgeglichen. Aber ironischerweise sind es möglicherweise genau diese zwei Aspekte, die die Ergebnisse der Studie verfälscht haben könnten.
Der Wert, der einem beim Betrachten der Ergebnisse sofort ins Auge fällt, sind natürlich die über 40 % Kraftzuwachs in den 9 Wochen der Studie. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Teilnehmer ansonsten nicht mit der Beinpresse trainieren und deshalb ein größeres Steigerungspotenzial haben, ist diese Zunahme gigantisch und eigentlich realitätsfern. Wenn man nun noch mit einbezieht, dass das 1RM (also die Maximalkraft für eine Wiederholung) bei den Teilnehmern vor Beginn der Studie bei durchschnittlich 85 Kilo lag, kann man sich schon die Frage stellen, wie trainiert die Teilnehmer wirklich waren. Ohne diesen zu nahe treten zu wollen, scheint es doch eher wahrscheinlich, dass diese ihre bisherige Trainingskarriere eher mit lockerem Pumpen als mit intensivem Training verbracht haben. Das ist auch tatsächlich eher die Ausnahme als die Regel unter Studiobesuchern. Selbst dafür gibt es übrigens Belege.
So zeigt die Meta von Benito und Kollegen (5), dass bei Studien die Trainingserfahrung der Probanden nahezu keinen Einfluss auf die Zunahme an fettfreier Körpermasse hat, wenn diese an Trainingsstudien teilnehmen. Man muss kein Wissenschaftler zu sein, um hier eine gewisse Diskrepanz zu erkennen. Jemand, der ernsthaft und ambitioniert trainiert, wird nach ein paar Jahren signifikant weniger Muskeln aufbauen können als in seinen ersten Trainingsjahren. Dementsprechend müsste die Trainingserfahrung sogar einen sehr großen Einfluss auf das Aufbaupotenzial haben. Die einzig logische Schlussfolgerung aus diesen Daten lautet deshalb, dass die Trainingserfahrung von Probanden nur wenig über deren tatsächlichen Trainingsstatus aussagt. Oder anders ausgedrückt: Nur weil jemand ein paar Mal im Monat ins Studio fährt und dort ein wenig mit Hanteln spielt, macht ihn das noch lange nicht zum Fortgeschrittenen.
Ebenfalls in Betracht ziehen sollte man, dass hier auch der Cross-Education-Effect eine Rolle gespielt haben könnte. Der CEE bedeutet, dass sich das Training eines Arms oder Beins auch auf das andere auswirkt, selbst wenn dieses nicht direkt trainiert wird (z. B. bei einer Verletzung) (6). Für Kraftzuwachs ist dieser Effekt bereits nachgewiesen und auch wenn bisher kein direkter Muskelaufbau durch diesen festgestellt werden konnte, so wurde zumindest Muskelabbau verhindert. Und es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass selbst ein geringer Stimulus in Kombination mit CEE Muskelaufbau auslösen könnte. Sollte sich das bewahrheiten, muss man die Verwendung des Within-Subject-Designs in Zukunft zumindest hinterfragen.
Des Weiteren konnte ich der Studie leider nicht entnehmen, ob der Geschwindigkeitsverlust bei jedem Satz aufs Neue festgestellt wurde, oder ob man einfach immer die gleiche Wiederholungszahl verwendet hat. Wenn letzteres der Fall war, wäre es auch denkbar, dass die anfangs ermittelte Intensität bei den letzten Sätzen schlicht höher war als angenommen.
Fazit
Wie so oft gilt auch hier wieder, dass eine einzige Studie, insbesondere wenn die Teilnehmerzahl derart gering ist, keine wirklich belastbaren Erkenntnisse liefern kann und nicht überbewertet werden sollte. Das gilt auch ganz allgemein und nicht nur in Bezug auf die Andersen-Studie. Und wenn einem schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass hier etwas nicht stimmen kann, dann sollte man diesem auch insofern vertrauen, dass zumindest Skepsis angebracht ist.
Dass die Teilnehmer über eine gewisse Trainingserfahrung verfügten, erwies sich bei genauerem Hinsehen auch als nur bedingt hilfreich, weil nahezu ausgeschlossen werden kann, dass deren bisherige Trainingskarriere besonders ambitioniert betrieben wurde.
Da die Studie in vielerlei Hinsicht den bisherigen Erkenntnissen in Sachen Intensität widerspricht, ist das wirklich Interessante an ihr vielleicht deshalb eher, ob es sich nicht lohnen würde, das Within-Subject-Design zu hinterfragen. Hier könnte es noch zu interessanten Ergebnissen kommen und sollte sich irgendwann bestätigen, dass der Cross-Education-Effect bei diesem Design wirklich einen Einfluss hat, dann hätte das auch gravierende Auswirkungen auf die Bewertung anderer Studienergebnisse.
Abschließend sollte man allerdings noch anmerken, dass Volumen sehr wahrscheinlich doch eine große Rolle spielt, auch wenn viele dem vehement widersprechen und auch das einen Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte, trotz aller Schwächen. Ganz außer Acht lassen sollte man diesen Faktor nicht, zumal alle bisherigen Metas zu diesem Thema, wie beispielsweise die von Pelland (7) und Schoenfeld (8), einen Zusammenhang zwischen steigendem Volumen und Muskelaufbau festgestellt haben und auch schon festgestellt wurde, dass ein höheres Volumen etwa die geringere Effektivität von kurzen Pausenzeiten wieder ausgleichen kann (z. B. 9). Dass allerdings eine derart geringe Intensität wie in der Andersen-Studie allein durch zusätzliches Volumen ausgeglichen werden kann, erscheint äußerst zweifelhaft.
Kanntest du diese Studie bereits und wie würdest du diese Ergebnisse interpretieren? Verrate es uns hier!
Quellen:
- Andersen et al. (2024): Resistance Training With Different Velocity Loss Thresholds Induce Similar Changes in Strength and Hypertrophy
- Karsten et al. (2021): Impact of Two High-Volume Set Configuration Workouts on Resistance Training Outcomes in Recreationally Trained Men
- Myrholt et al. (2023): Effects of Low- Versus High-Velocity-Loss Thresholds With Similar Training Volume on Maximal Strength and Hypertrophy in Highly Trained Individuals
- Lasevicius et al. (2022): Muscle Failure Promotes Greater Muscle Hypertrophy in Low-Load but Not in High-Load Resistance Training
- Benito et al. (2020): A Systematic Review with Meta-Analysis of the Effect of Resistance Training on Whole-Body Muscle Growth in Healthy Adult Males
- Altheyab et al. (2024): Cross-education of lower limb muscle strength following resistance exercise training in males and females: A systematic review and meta-analysis
- Pelland et al. (2024): The Resistance Training Dose-Response: Meta-Regressions Exploring the Effects of Weekly Volume and Frequency on Muscle Hypertrophy and Strength Gain
- Schoenfeld et al. (2017): Dose-response relationship between weekly resistance training volume and increases in muscle mass: A systematic review and meta-analysis
- Longo et al. (2022): Volume Load Rather Than Resting Interval Influences Muscle Hypertrophy During High-Intensity Resistance Training