Es gibt wenige Themen im Bereich Training und Muskelaufbau, die so kontrovers diskutiert werden wie das optimale Volumen. Das sieht man auch daran, wie unterschiedlich diese Fragestellung in der Praxis gehandhabt wird, wie unversöhnlich sich die Vertreter der verschiedenen Ansätze gegenüberstehen und wie oft der Trend in Sachen Volumen in die eine oder andere Richtung umschlägt.
So vertreten Anhänger des High Intensity Trainings (HIT) die Ansicht, weniger sei mehr und bereits ein einzelner Satz sei ausreichend oder sogar besser, um Muskeln aufzubauen, sofern dieser mit maximaler Intensität ausgeführt wird. Vertreter des klassischen Volumentrainings hingegen sind eher der Meinung, dass der Trainingsreiz mit zunehmendem Volumen immer weiter ansteigt. Und auch abgesehen von diesen beiden Extrempositionen gibt es ein breites Spektrum an Empfehlungen, wie viel Training denn nun wirklich notwendig ist, um den Muskelaufbau zu maximieren.
Da dieses Thema äußerst komplex und die Datenlage stellenweise auch widersprüchlich ist, habe ich mich bisher zugegebenermaßen ein wenig davor gedrückt, dieses zu bearbeiten, bis jetzt. Aber Mama hat keinen Feigling oder Faulpelz erzogen und deshalb habe ich mich mal daran gemacht, die vorhandenen Studien auszuwerten, deren Vorzüge und Mängel zu identifizieren und daraus – in Verbindung mit praktischen Erfahrungen und gesundem Menschenverstand – eine nachvollziehbare Übersicht zum idealen Trainingsvolumen zu erstellen.
Was ist Volumen / Trainingsvolumen?
Zunächst einmal sollten wir klären, was genau mit Volumen gemeint ist, da es hier verschiedene Auslegungen gibt (die je nach Szenario auch alle korrekt sind). Im Kontext dieses Artikels bezieht sich Volumen nur auf die Anzahl von Sätzen in Bezug auf eine Muskelgruppe.
Warum nicht Sätze x Wiederholungen oder gar der Gesamtload (Sätze x Wiederholungen x Gewicht)?
Wie wir unter anderem in unserem Artikel zur idealen Rep-Range festgestellt haben, spielt es im Bezug auf Hypertrophie keine große Rolle, wie viele Wiederholungen je Satz ausgeführt werden, sofern diese Sätze bis nahe ans Muskelversagen ausgeführt werden. Daraus ergibt sich, dass auch der Load in Sachen Muskelaufbau weitestgehend irrelevant ist, da dieser bei höheren Wiederholungszahlen automatisch ebenfalls höher ausfallen würde.
Wenn wir im weiteren Verlauf dieses Artikels also von Volumen oder Trainingsvolumen sprechen, dann meinen wir die Anzahl der Sätze je Muskelgruppe im Verlauf einer Woche.
Was sagt die Wissenschaft zum Thema Trainingsvolumen?
Um einen ersten Überblick über das Thema zu erhalten, macht es immer Sinn, sich erst einmal die Metastudien anzuschauen. Also Arbeiten, welche die bisher vorhandenen Studien analysieren und einordnen, um dann aus deren Gesamtheit eine Schlussfolgerung zu ziehen.
Eine solche haben z. B. Schoenfeld und Kollegen 2017 erstellt. In dieser verglichen die Autoren die Effekte von Training mit 1 bis 4 Sätzen, 5 bis 9 Sätzen und 10 oder mehr Sätzen. Das Ergebnis war, dass die Zuwächse in Sachen Muskelaufbau höher ausfielen, je mehr Sätze absolviert wurden. In diesem Fall resultierten also aus mehr Volumen auch mehr Gains. Allerdings wurden hier keine Studien berücksichtigt, bei denen die Teilnehmer ein Volumen absolviert hatten, das bei mehr als 12 Sätzen pro Muskel lag. Außerdem wurden die betrachteten Studien nur an untrainierten Teilnehmern ausgeführt. Damit stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse bei einem noch höheren Trainingsvolumen sowie fortgeschrittenen Probanden eventuell sogar noch besser ausgefallen wären.
Hilfreich zur Beantwortung dieser Frage könnte die Meta-Analyse von Baz-Valle und Kollegen aus dem Jahr 2022 sein. In dieser fand ein Vergleich von einem moderaten Volumen von 12-20 Sätzen mit einem Volumen von über 20 Sätzen statt (beides durchgeführt an bereits trainierten Individuen). Konkret wurden hierfür 3 Muskeln untersucht: der Quadrizeps, der Bizeps und der Trizeps. Dabei stellten die Forscher fest, dass die Zuwächse von Quadrizeps und Bizeps bei moderatem und hohem Volumen in etwa gleich ausfielen, während der Trizeps tatsächlich von höherem Volumen zu profitieren schien. Allerdings hatte diese Studie eine große Schwäche: Und zwar wurden in den berücksichtigten Studien teilweise sehr unterschiedliche Pausenzeiten verwendet, was einen starken Einfluss auf die Ergebnisse haben kann. Ein Problem, das uns auch bei weiteren Arbeiten noch beschäftigen wird.
So wurde beispielweise auch bei den Einzelstudien von Schoenfeld, Brigatto und Radelli ein direkter Zusammenhang zwischen Muskelaufbau und ansteigendem Volumen festgestellt. Bei jeder dieser Studien erzielte die Gruppe mit dem höchsten Volumen (30-45 Sätze) auch die meisten Zuwächse im Vergleich zu moderatem (18-27 Sätze) und niedrigem Volumen (6-16 Sätze).
Erwähnen sollte man bei diesen doch sehr hohen Satzzahlen, dass hier die Hilfsmuskeln bei Grundübungen mit einbezogen wurden. So wurde z. B. ein Satz Bankdrücken ebenso als Satz für den Trizeps gewertet wie ein Satz Trizepsdrücken am Kabel und ein Satz Langhantelrudern wurde ebenso als Satz für den Bizeps gerechnet wie ein Satz Curls. In der Studie von Schoenfeld wurden sogar ausschließlich Grundübungen und überhaupt keine Isolationsübungen verwendet. Rechnet man ausschließlich mit den direkten Sätzen für einen Muskel, wie es in der Praxis eher üblich ist, dann fallen die Satzzahlen deutlich moderater aus. Das größere Problem dieser Studien bestand aber darin, dass mit Pausenzeiten von maximal 90 Sekunden und teilweise darunter gearbeitet wurden. Wie wir in unserem Artikel zur Bedeutung von Pausenzeiten allerdings bereits besprochen hatten, verringern geringe Pausenzeiten die Effektivität einzelner Sätze, was wiederum durch mehr Volumen wieder ausgeglichen werden kann. Da dies sehr wahrscheinlich der Hauptgrund für die vermeintliche Überlegenheit höheren Volumens in diesen Studien ist, ist deren Aussagekraft in Bezug auf die Bedeutung des Trainingsvolumens auf Hypertrophie doch stark eingeschränkt.
Diese Vermutung bestätigt sich auch, wenn wir drei weitere Studien von Aube, Ostrowski sowie Heaselgrave und Kollegen betrachten, bei denen längere Pausenzeiten verwendet wurden. Und tatsächlich waren es hier meist die moderaten, im Fall von Aube sogar die niedrigsten Satzzahlen, die zu den besten, oder zumindest zu gleichwertigen Resultaten im Vergleich mit den Gruppen mit den höchsten Satzzahlen geführt haben.
Wenn man sich die wissenschaftlichen Arbeiten bis zu diesem Punkt nun anschaut und dabei die Limitationen der Studien, die ein hohes Volumen befürworten, berücksichtigt, könnte man bis hierhin zu folgendem Schluss kommen:
- Grundsätzlich führt ein etwas höheres Volumen zu besseren Ergebnissen. Systeme mit sehr geringem Volumen wie HIT erzielen also etwas weniger Muskelaufbau als klassisches Volumentraining.
- Sofern die Sätze nahe am Muskelversagen und mit ausreichenden Pausenzeiten ausgeführt wurden, reicht ein moderates Volumen von ca. 12 bis 20 Sätzen je Muskelgruppe, um die Gains zu maximieren. Zusätzliches Volumen darüber hinaus bietet demnach kaum oder keinen Mehrwert.
- Bei kurzen Pausenzeiten ist ein erhöhtes Volumen notwendig, um den Hypertrophie-Reiz zu maximieren.
An diesem Punkt könnte man nun eigentlich schon zum Fazit kommen, aber eine Studie aus dem Jahr 2023 stellte plötzlich alles auf den Kopf…
Die berüchtigte Enes-Studie
Einen regelrechten Aufschrei in der Kraftsport-Szene löste die Studie von Enes und Kollegen im Jahr 2023 aus. Nicht nur wurde in dieser Studie mit einem geradezu absurd hohen Volumen von bis zu 52 Sätzen (!) die Woche gearbeitet, das (vermeintliche) Ergebnis lautete auch, dass dieses gewaltige Volumen sogar zu den besten Resultaten führte. Zu sagen, die Studie wäre kontrovers aufgenommen wurden, wäre sogar noch untertrieben. Und während die einen die Studie erst mal kategorisch als unsinnig abtaten, überflutete eine zweite Fraktion, die hauptsächlich aus Influencern und Hardcore-Befürwortern des High Volume-Ansatzes bestand, die sozialen Medien mit Clips und Screenshots, in denen behauptet wurde, die Studie würde beweisen, dass ein solch hohes Volumen sinnvoll wäre.
Schauen wir uns diese Studie deshalb mal genauer an. Enes und Kollegen ließen 31 trainierte Männer 12 Wochen lang den Quadrizeps mit Kniebeugen, der Beinpresse und dem Beinstrecker trainieren. Trainiert wurde mit ausreichenden Pausenzeiten von mindestens 2 Minuten in einem moderaten Wiederholungsbereich mit 2 Reps in Reserve und beim letzten Satz jeder Übung bis zum Muskelversagen. Um in der gewünschten Rep-Range zu bleiben und eventuelle Kraftsteigerungen auszugleichen, wurden die Arbeitsgewichte bei Bedarf nach oben oder unten angepasst.
Eine Gruppe absolvierte über den Verlauf der Studie durchgehend 22 Sätze, eine zweite addierte alle 2 Wochen 4 Sätze und eine Dritte alle zwei Wochen 6 Sätze, sodass die mittlere Gruppe am Ende auf 42 und die letzte Gruppe auf die bereits erwähnten 52 Sätze kam. Schaut man sich nun die Ergebnisse an, so scheint es, als ob in dieser Studie tatsächlich mehr Volumen auch zu mehr Gains und einem höheren Kraftanstieg geführt hätte.
Bei so einem Ergebnis ist man natürlich erst mal geneigt, nach Fehlern im Studiendesign zu suchen, die dieses erklären könnten. Und ja, man findet durchaus Schwächen. Da wäre zum Beispiel die unklare Definition von Muskelversagen, die laut den Autoren auf zwei Weisen festgelegt wurde: Da war zum einen das Versagen, bei dem keine Wiederholung mit gleichbleibender Technik mehr möglich wäre. Was an sich schon eine schwierige Aussage ist, denn was genau wird als Einbruch der Technik gewertet? Ein leichtes Grinden? Eine Verlagerung des OK bei Kniebeugen? Die andere Definition war ein “freiwilliges” Versagen, also dass die Teilnehmer selbst bestimmt haben, dass die nächste Rep nicht mehr möglich gewesen wäre, ohne dies tatsächlich zu prüfen. Außerdem wurden die Ernährung und das sonstige Training (die Teilnehmer mussten zusätzlich je vier Sätze für den Beinbeuger machen, für das Oberkörpertraining gab es überhaupt keine direkten Vorgaben) nicht vorgegeben oder geprüft.
Also ja, das Studiendesign war sicher nicht perfekt. Allerdings handelt es sich bei diesen Punkten um eher kleinere Mängel, die nicht ausreichen die Ergebnisse der Studie kategorisch infrage zu stellen.
Bevor du jetzt aber in Panik gerätst, deinen Job kündigst und deine Frau oder Freundin in die Wüste schickst, um genügend Zeit zu haben, jeden Muskel mit 50+ Sätzen die Woche zu bearbeiten und die Gains zu maximieren, warte erst mal ab. Denn bei genauerem Hinsehen ergeben sich durchaus Zweifel an der Aussagekraft dieser Arbeit. Aber der Reihe nach…
Zunächst einmal ging es in dieser Studie nie darum, zu beweisen, dass ein ultrahohes Volumen zu den besten Ergebnissen führt, sondern vielmehr um die Auswirkung einer stufenweisen Anhebung des Trainingsvolumens über einen bestimmten Zeitabschnitt. Keiner der Teilnehmer hat über den kompletten Zeitraum mit 42 bzw. 52 Sätzen die Woche gearbeitet, sondern jeweils nur in den letzten 2 Wochen des jeweiligen Zyklus. Und die besseren Zuwächse dieser beiden Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe könnten somit auch nicht vom Volumen per se stammen, sondern von dessen Steigerung.
Eine mögliche Erklärung wäre z. B., dass hier ein doppelter progressiver Overload stattgefunden hat, einmal über die Steigerung der Arbeitsgewichte, die auch bei der Kontrollgruppe erfolgt ist, und zusätzlich über die Steigerung des Volumens.
Hinzu kommt, dass dieser Versuch von Anfang an auf einen zeitlich befristeten Abschnitt vorgesehen war und ein temporäres Overreaching in Kauf genommen wurde. Das zeigt sich auch daran, dass einige der Teilnehmer in den letzten Wochen eine starke allgemeine Erschöpfung beklagten, die einen anschließenden Deload oder eine Pause zwingend notwendig machen würden.
Das Vorgehen, Hypertrophie über die kontinuierliche Steigerung des Volumens über einen gewissen Zeitraum zu erzwingen und anschließend wieder zu reduzieren, ist dabei keineswegs neu und wird auch in Hypertrophie-Blöcken von Powerlifting-Plänen teilweise so gehandhabt. Man braucht wahrlich kein Experte in Trainingswissenschaften zu sein, um zu wissen, dass ein dauerhaftes Training mit diesem Volumen nicht funktionieren würde, weil die Regenerationsfähigkeiten bald erschöpft wären und sich Erschöpfung, Übertraining und Verletzungen zwangsläufig einstellen würden. Zumal es in dieser Studie auch nur um die Quads ging, nicht um alle Muskeln des Körpers.
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Messung der Muskelzuwächse. So wurde der Quadrizeps an zwei Zeitpunkten gemessen, einmal vor Beginn der Studie und schließlich noch mal 72 Stunden nach der letzten Trainingseinheit. Dazu muss man wissen, dass ein Muskel, der stark beschädigt wurde, zunächst einmal größere Mengen an Wasser einspeichert, um die Reparatur der Muskelfasern zu unterstützen. Das ist auch der Grund, warum Bodybuilder in der Regel eine Woche vor einem Wettkampf kein Beintraining mehr ausführen, um die Einschnitte und Streifen sichtbarer zu machen. Wenn man nun berücksichtigt, dass die High Volume-Gruppe in ihrer letzten Trainingseinheit satte 26 Sätze für die Quads ausgeführt hat, dann liegt die Vermutung nahe, dass 72 Stunden einfach nicht ausreichend waren, um alle Wassereinlagerungen wieder auszuscheiden. Eventuell wurden also gar nicht die Muskeln an sich dicker, sondern sie waren einfach noch angeschwollen.
Und auch die Ergebnisse an sich sollte man noch mal genauer unter die Lupe nehmen. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Resultate der beiden High Volume-Gruppen nicht so gravierend besser waren, wie man bei einer oberflächlichen Betrachtung annehmen könnte. Auch die Kontrollgruppe konnte deutliche Zugewinne verzeichnen. Und auch wenn der Durchschnitt bei der beiden anderen Gruppen etwas höher lag, so war auch die Streuung innerhalb dieser Gruppen wesentlich größer, besonders bei der mit dem höchsten Volumen. Ein Teilnehmer dieser Gruppe verlor während der Studie sogar an Muskulatur.
Des Weiteren waren auch die Unterschiede zwischen den beiden High Volume-Gruppen so gering, und hauptsächlich durch die hohe Streuung der höchsten Gruppe bedingt, dass es aus statistischer Sicht falsch wäre zu behaupten, die Gruppe mit dem höchsten Volumen hätte auch die besten Resultate erzielt.
Vermutlich wäre der Aufruhr in der Fitnessszene schon deutlich geringer ausgefallen, wenn man sich einfach mal die Mühe gemacht hätte, die gesamte Studie zu lesen, statt nur einzelne Aspekte herauszupicken, die in den persönlichen Bias passen. Das hätte die Social Media-Posts aber erheblich weniger spektakulär ausfallen lassen.
So wissen auch die Autoren selbst, dass die Ergebnisse ihrer Studie mit Vorsicht zu genießen sind und schreiben das auch so: “While our results indicate a potential small benefit for higher volume conditions regarding hypertrophic adaptations in this population, the limited certainty of our findings warrant caution”.
Also sinngemäß: Die potenziellen kleinen Benefits durch hohes Volumen sind unsicher und mit Vorsicht zu genießen.
Zu der Gruppe mit dem höchsten Volumen schreiben sie außerdem: “Despite one isolated response, this observation indicates a potential new upper threshold for lower-body training volume targeting the quadriceps femoris, as it did not negatively affect muscular adaptions”.
Es wird also nicht behauptet, dass diese Gruppe am besten abgeschnitten hätte, sondern lediglich, dass die noch tolerable Obergrenze für Volumen eventuell höher liegen könnte als bisher angenommen und schließen mit einem lapidaren “es hat zumindest nicht geschadet (außer in einem Fall)”.
Ebenfalls interessant ist, dass Enes und Kollegen im Discussion-Teil ihrer Arbeit die Ergebnisse ihrer Studie mit denen anderer, teilweise hier bereits erwähnten Studien verglichen, die den Effekt von Volumen auf Hypertrophie untersucht hatten. Dabei stellten sie fest, dass die muskulären Zuwächse in diesen Studien, obwohl mit deutlich geringerem Volumen ausgeführt, durchaus vergleichbar waren mit denen aus ihrer eigenen Studie. In Kombination mit der bereits erwähnten Tatsache, dass die Resultate der Gruppe mit dem höchsten Volumen in ihrer Arbeit statistisch nicht signifikant besser waren als die der Gruppe mit dem mittleren Volumen, suggeriert dies, dass mindestens die High Volume-Gruppe, den Punkt, an dem zusätzliches Volumen noch einen Mehrwert bietet, bereits überschritten hatte. Der Sweet Spot in Sachen Volumen dürfte somit niedriger liegen als manche Auslegungen der Studienergebnisse behauptet hatten.
Berücksichtigt man all diese Einwände, die zum Teil von den Autoren selbst stammen, so erscheint es mindestens vorschnell, wenn nicht schlichtweg falsch, zu behaupten, dass diese Studie der Beweis für die Überlegenheit eines Trainings mit extrem hohem Volumen wäre oder gar, dass 52 Sätze für einen Muskel notwendig wären, um den Muskelaufbau zu maximieren. Wenn überhaupt, liefert sie Anhaltspunkte, dass eine temporäre und stufenweise Erhöhung des Volumens für eine Muskelgruppe ein valides Tool darstellen könnte, um einen zusätzlichen Wachstumsreiz zu erzeugen. Besonders bei Muskeln, die bei der Entwicklung hinterherhängen, könnte es also einen Versuch wert sein, über eine kurze Phase mit der stufenweisen Erhöhung des Volumens zu experimentieren.
Abschließend sollte man vielleicht auch noch auf die Zuwächse an Kraft bei dieser Studie eingehen. Im Gegensatz zum Hypertrophie-Aspekt sind die Ergebnisse hier wesentlich eindeutiger und die Gruppen mit dem hohen Volumen erzielten tatsächlich einen signifikant höheren Kraftanstieg als die Kontrollgruppen und hier schnitt auch die Gruppe mit dem höchsten Volumen klar am besten ab. Allerdings wurde als Maßstab hierfür die Steigerung des 1RM bei der Kniebeuge verwendet. Nun ist es kein großes Geheimnis, dass die Kraftsteigerungen in einer Übung zum Großteil aus dem übungsspezifischen Training stammen oder anders ausgedrückt: Wer sein 1RM bei der Kniebeuge steigern möchte, sollte möglichst oft beugen. Allgemeine Kraftzuwächse durch andere Übungen spielen zwar ebenfalls eine Rolle, allerdings eine eher geringe. Wenn man nun aber die ausgeführten Sätze Kniebeugen einzeln betrachtet, so geht es nun nicht mehr um den Vergleich von 22 zu 52 Sätzen, sondern nur noch um den zwischen 8 und 18 Sätzen. Und 18 Sätze Kniebeugen sind zwar immer noch üppig, aber durchaus noch im Rahmen dessen, was z. B. ein kraftorientierter Trainingsplan für Powerlifter vorsieht. Auch hier ist es also zweifelhaft, dass die erzielten Kraftzuwächse auch wirklich aus dem ultrahohen Gesamtvolumen resultieren.
Weitere Faktoren in Bezug auf das Trainingsvolumen
Das Problem mit Artikeln wie diesem und Empfehlungen in Bezug auf Training im Allgemeinen ist, dass der Leser sich letztlich eine ganz konkrete und allgemeingültige Antwort in Form von Zahl X erhofft. Dies ist aber in den seltensten Fällen zutreffend. Es gibt bei fast jedem trainingsrelevanten Thema Faktoren, die dazu beitragen, ob für eine Person eine bestimmte Vorgehensweise (Volumen, Intensität, Übungen usw.) auch wirklich zu optimalen Ergebnissen führt. Das ist auch hier der Fall.
Sehr schön veranschaulicht wird das in einer weiteren Studie zum Thema Trainingsvolumen, die 2019 von Damas und Kollegen durchgeführt wurde. In dieser trainierten die Probanden ihren Quadrizeps mit dem Beinstrecker, und zwar ein Bein mit 6 bis 9 Sätzen die Woche und das andere mit 15 Sätzen die Woche. Im Unterschied zu den bisher genannten Arbeiten wurden also an jedem Probanden beide Szenarien erprobt, anstatt diese in Gruppen einzuteilen. Das Ergebnis war, dass fast exakt ein Drittel mehr Zuwächse durch höheres Volumen erzielte, ein weiteres Drittel fuhr besser mit niedrigem Volumen und das letzte Drittel erzielte mit beiden Vorgehensweisen die selben Resultate.
Es ist also offensichtlich, dass auch individuelle Faktoren eine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob man vom höherem Trainingsvolumen profitieren könnte.
Individuelle Faktoren
Personenbezogene Gegebenheiten, die einen Einfluss auf die Reaktion des Körpers auf Volumen haben können, wären zum Beispiel:
- Genetik: Wie vieles andere auch, so wird auch unsere Volumentoleranz durch unsere genetischen Voraussetzungen bestimmt. Nicht jeder hat die gleiche Regenerationsfähigkeit und kommt gleich gut mit einem hohen Trainingsvolumen klar.
- Geschlecht: Frauen können in der Regel mehr Volumen verkraften bzw. eher von einer Steigerung dessen profitieren als Männer. Die genaue Erklärung steht noch aus, allerdings liegt die Vermutung nahe, dass dies am höheren Anteil von Slow-Twitch-Muskelfasern liegt, die resistenter gegen Ermüdung sind.
- Alter: Ältere Menschen haben nicht mehr die regenerativen Kapazitäten jüngerer Trainierender und sollten deshalb das Trainingsvolumen etwas niedriger wählen. Zwar ist auch bei älteren Menschen der Anteil an Slow-Twitch-Muskelfasern höher, allerdings wird dieser Fakt von zahlreichen anderen Faktoren mehr als wieder ausgeglichen.
- Lebensumstände: Um ein hohes Trainingsvolumen tolerieren zu können, spielen auch die sonstigen Lebensumstände eine wichtige Rolle. Wer in seinem Alltag großem Stress ausgesetzt wird, schlecht oder zu wenig schläft oder sich suboptimal ernährt, wird bei hohem Trainingsvolumen schneller Probleme bekommen als Menschen, bei denen dies nicht der Fall ist.
- Trainingserfahrung: Trainierende, die bereits länger am Eisen sind und schon eine erhebliche Menge an Muskulatur aufgebaut haben, sind meist deutlich besser darin, Muskeln gezielt anzusteuern und zu rekrutieren und haben zudem eine höhere Schmerztoleranz. Dadurch wird ihr Training effizienter bzw. die einzelnen Sätze effektiver. Im Gegensatz zu dem, was viele glauben, benötigen Fortgeschrittene also weniger Volumen, nicht mehr. Außerdem bewegen diese in der Regel auch höhere Gewichte, was ebenfalls einen Einfluss hat (siehe nächster Abschnitt).
- Muskeltypen: Wie viel Volumen absolviert werden sollte, ist auch abhängig davon, um welchen Muskel es geht. So benötigen große Muskelgruppen in der Regel mehr Volumen bzw. können dieses besser verarbeiten. Aber auch unabhängig von der Größe gibt es Unterschiede in Sachen Volumentoleranz zwischen verschiedenen Muskeln. Dies hängt meist mit dem Grad der täglichen Belastung und der Faserzusammensetzung dieser Muskeln zusammen. So sind die Waden beispielsweise äußerst robust in Sachen Belastung und lassen sich notfalls auch täglich trainieren.
Intensität vs. Volumen
Eine der wichtigsten Variablen, wenn es um das optimale Trainingsvolumen geht, ist die Intensität des Trainings. Intensität lässt sich dabei auf unterschiedliche Arten definieren. Wissenschaftlich wird der Begriff Intensität immer in Bezug auf das verwendete Trainingsgewicht definiert. Wenn du also mehr Gewicht auf der Stange hast, trainierst du mit einer höheren Intensität, auch wenn ein Satz mit weniger Gewicht und mehr Wiederholungen subjektiv vielleicht anstrengender wäre.
Eine andere Definition bezieht sich auf die Nähe zum Muskelversagen, was mit Reps in Reserve (RIR) angegeben wird. Die dritte Definition ist die umgangssprachliche, bei der Intensität als Grad der Anstrengung gewertet wird. Gemein haben alle drei Auslegungen, dass eine hohe Intensität immer eine große Belastung für das zentrale Nervensystem darstellt und die regenerativen Kapazitäten erheblich mehr fordert als bei einer geringen Intensität. Dies ist ein weiterer Grund, warum Fortgeschrittene in der Regel mit weniger Volumen auskommen als Anfänger.
Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass du bei einer hohen Intensität automatisch das Volumen nach unten regeln solltest, um keine Überlastung zu riskieren und die Hypertrophie zu sabotieren. Ab einem gewissen Punkt kommt dein Körper einfach nicht mehr mit der Regeneration hinterher und du wirst keine Muskeln mehr aufbauen. Das ist auch das Grundprinzip des HIT-Trainings, bei dem zwar mit einem geringen Volumen, dafür aber mit maximaler Intensität (in Bezug auf RIR) und zusätzlich oft mit Intensitätstechniken (um das effektive Volumen zu steigern) gearbeitet wird. Dieses könnte daher für fortgeschrittene Athleten besser funktionieren als für Anfänger, die weder die nötige Intensität aufbringen, noch schwere Gewichte bewegen können.
Schlussfolgerung und praktische Umsetzung
Nachdem wir uns nun die Datenlage und weitere Einflussgrößen in Sachen optimales Trainingsvolumen angeschaut haben, wird es Zeit, aus diesen Schlüsse zu ziehen und eine Empfehlung auszusprechen.
Bevor wir das tun, ist es mir aber wichtig, eine Sache klarzustellen: In diesem Artikel geht es um das Optimum, also darum, auch die letzten paar Prozentpunkte in Sachen Effektivität herauszukitzeln. In diesem konkreten Fall also um die Frage, wie viel Volumen benötigt wird, um das Muskelwachstum zu maximieren. Das bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass du nicht auch mit wesentlich geringerem Volumen Muskeln aufbauen wirst! Es wäre schlicht falsch zu behaupten, Ansätze wie HIT würden nicht funktionieren, da es zahlreiche Beispiele dafür gibt, dass sie es tun. Und selbst Bodybuilding-Coaches auf höchstem Niveau, wie z. B. Stefan Kienzl arbeiten nach wie vor nach diesen Prinzipien.
Selbst wenn du nur mit dem absoluten Minimum an effektivem Volumen arbeitest (das wären in etwa 4 Sätze je Muskel), wirst du damit signifikante Zuwächse verzeichnen und bereits den erheblichen Großteil deines Hypertrophie-Potenzials ausschöpfen können. Jede weitere Erhöhung wird dir nur noch ein paar Prozent an Mehrwert bzw. schnellere Zuwächse bieten.
Und irgendwann stellt sich dann auch die Frage, wie viel du bereit bist zu investieren, um damit im Endeffekt nur ein paar Prozent mehr herauszuholen. Um mal wieder auf die berüchtigte Enes-Studie zurückzukommen: Wie bereits beschrieben, gibt es durchaus Anlass zur Skepsis, was deren Ergebnisse angeht. Aber nehmen wir einfach mal an, der Schluss würde tatsächlich lauten, dass man 52 Sätze je Muskel brauchen würde, um optimal aufzubauen. Was ich bisher noch nicht erwähnt hatte, ist, dass die Kontrollgruppe für ihre Einheiten im Schnitt 50 Minuten gebraucht hatte. Die beiden High Volume-Gruppen lagen am Ende aber bei rund 100 Minuten und mehr. Und dabei ging es nur um die Quads. Wenn man dies für alle Muskeln so handhaben würde, wäre man bei etwa 450 Sätzen pro Woche landen, wofür man sogar mit zügiger Ausführung um die 15 bis 20 Stunden pro Woche trainieren müsste. Würdest du das auf dich nehmen, um am Ende 5 % schneller aufzubauen? Mal ganz davon abgesehen, dass du wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit komplett ausbrennen und nur noch sabbernd und heulend auf dem Boden liegen würdest…
Ebenfalls sollte man berücksichtigen, dass Muskelaufbau immer ein langfristiges Projekt sein sollte. Der große Nachteil aller aufgeführten Studien besteht auch darin, dass sie die Auswirkungen von Volumen immer nur über einen begrenzten Zeitraum erfassen. Aber ob auch die gleichen Ergebnisse herauskommen würden, wenn man die dort angewendeten Szenarien über einen längeren Zeitraum anwenden würde, bleibt offen. Bessere Ergebnisse bedeuten in der Praxis deshalb auch eher schnellere Ergebnisse und selbst wenn einige Faktoren in Sachen Hypertrophie nicht optimiert wurden, wirst du irgendwann am gleichen Punkt ankommen, es dauert nur eben länger.
Was ich damit sagen will, ist, unabhängig davon, wie viel Volumen denn nun wirklich ideal für dich wäre, wenn es dein Zeitmanagement oder sonstige Verpflichtungen nicht zulassen, dieses Pensum zu absolvieren, dann heißt das noch lange nicht, dass du nicht trotzdem effektiv Muskeln aufbauen kannst. Also kein Grund, frustriert zu sein oder gar aufzugeben, wenn du nur 5 oder 6 Sätze die Woche pro Muskel in deinem Alltag unterbringen kannst.
Aber um mal zum eigentlichen Punkt zu kommen: Wie so oft lautet die passende Antwort auch hier wieder mal “kommt darauf an”, wobei hier insbesondere die oben genannten Faktoren wie Alter, Trainingsstand, Lebensumstände und Trainingsstand eine Rolle spielen.
Für den durchschnittlichen Pumper werden die üblichen Empfehlungen von 12 bis 20 Sätzen pro Woche bereits ausreichen, um den Muskelaufbau zu maximieren. Wobei hier auch bereits Sätze einbezogen sind, die den Zielmuskel nur indirekt belasten. Bei Isolationsübungen und kleineren Muskeln wird auch weniger ausreichen. Wer gerne mit kürzeren Pausen und/oder geringerer Intensität (ca. RIR 3) trainiert, kann bzw. sollte dieses Pensum auf 30 bis 45 Sätze pro Woche erhöhen, wobei dies die absolute Obergrenze darstellen sollte. Wer umgekehrt mit schweren Gewichten hantiert und in jedem Satz ans Muskelversagen geht, täte gut daran, mit maximal 10 Sätzen pro Woche und Muskelgruppe zu arbeiten.
Kurzfristig kann es auch mal Sinn machen, widerspenstige Muskelgruppen über einen bestimmten Zeitraum mit höherem Volumen zu belasten, und dieses schrittweise zu steigern. Allerdings erfordert dieses Vorgehen eine gute Selbsteinschätzung, regelmäßige Kontrolle und eine ausgeklügelte Belastungssteuerung.
Wie so oft, gilt aber auch bei diesem Thema, dass dir letztlich niemand sagen kann, was denn nun wirklich konkret das ideale Trainingsvolumen für dich wäre. Man kann dir zwar Anhaltspunkte zur groben Orientierung an die Hand geben, im Endeffekt wirst du aber selbst ausprobieren müssen, was für dich am besten funktioniert. Wenn du also das Gefühl hast, noch Potenzial auf der Strecke zu lassen, dann versuche mal, das Volumen zu erhöhen oder eben zu verringern, insbesondere wenn sich bereits Zeichen einer Überlastung einstellen, wie Schmerzen oder dauerhafte Erschöpfung.
Ich hoffe jedenfalls, dass du auch dieses Mal wieder etwas mitnehmen konntest und ich die Fakten in einer verständlichen Form näherbringen konnte. Wenn du noch Fragen oder Anmerkungen hast, dann teile uns das einfach hier mit! Verrate uns auch gern, mit welchem Volumen du den besten Fortschritt erzielt hast.
Zusammenfassung: Das optimale Volumen
- Grundsätzlich führt ein höheres Trainingsvolumen auch zu besseren Ergebnissen in Sachen Muskelaufbau. Minimalistische Ansätze wie HIT sind diesbezüglich leicht unterlegen, aber trotzdem effektiv.
- Bei normalen Pausenzeiten und moderater Intensität liegt die Obergrenze für Volumen bei ungefähr 20 Sätzen pro Woche je Muskelgruppe, eine weitere Erhöhung bietet für die meisten dann keinen Mehrwert.
- Bei kürzeren Pausenzeiten von 90 Sekunden und weniger muss ein höheres Volumen absolviert werden, um die gleichen Resultate zu erzielen.
- Die Enes-Studie beweist nicht, dass ein ultrahohes Volumen für maximalen Muskelaufbau notwendig wäre, liefert aber einen Anhaltspunkt, dass die schrittweise Erhöhung des Volumens für einen bestimmten Zeitpunkt in manchen Szenarien sinnvoll sein könnte.
- Individuelle Faktoren wie Geschlecht, Alter, Trainingsstand, Lebensumstände oder genetische Voraussetzungen spielen bei der Frage nach dem optimalen Volumen eine entscheidende Rolle.
- Bei hoher Intensität, sowohl in Bezug auf die verwendeten Gewichte als auch die Nähe zum Muskelversagen, kann und sollte das Trainingsvolumen reduziert werden, da die einzelnen Sätze effektiver sind und ansonsten Überlastungen drohen.
- Auch bei suboptimalem Volumen werden trotzdem noch effektiv Muskeln aufgebaut.
Quellen:
- Schoenfeld et al. (2017): Dose-response relationship between weekly resistance training volume and increases in muscle mass: A systematic review and meta-analysis
- Baz-Valle et al. (2022): A Systematic Review of The Effects of Different Resistance Training Volumes on Muscle Hypertrophy
- Schoenfeld et al. (2019): Resistance Training Volume Enhances Muscle Hypertrophy but Not Strength in Trained Men
- Brigatto et al. (2022): High Resistance-Training Volume Enhances Muscle Thickness in Resistance-Trained Men
- Radelli et al. (2015): Dose-response of 1, 3, and 5 sets of resistance exercise on strength, local muscular endurance, and hypertrophy
- Aube et al. (2022): Progressive Resistance Training Volume: Effects on Muscle Thickness, Mass, and Strength Adaptations in Resistance-Trained Individuals
- Ostrowski et al. (1997): The Effect of Weight Training Volume on Hormonal Output and Muscular Size and Function
- Heaselgrave et al. (2019): Dose-Response Relationship of Weekly Resistance-Training Volume and Frequency on Muscular Adaptations in Trained Men
- Enes et al. (2023): Effects of Different Weekly Set Progressions on Muscular Adaptations in Trained Males: Is There a Dose–Response Effect?
- Damas et al. (2019): Individual Muscle Hypertrophy and Strength Responses to High vs. Low Resistance Training Frequencies
- Mangine et al. (2015): The effect of training volume and intensity on improvements in muscular strength and size in resistance-trained men
- Giessing et al. (2016): A comparison of low volume ‘high-intensity-training’ and high volume traditional resistance training methods on muscular performance, body composition, and subjective assessments of training