Wie wichtig ist saubere Technik für den Muskelaufbau?

Während die einen der Meinung sind, nur eine Technik wie aus dem Bilderbuch führe zu guten Ergebnissen in Sachen Muskelaufbau und bei jeder Form des Abfälschens verächtlich die Nase rümpfen, vertreten andere eher die Ansicht, dass nur “schwer und falsch” funktioniert. Doch wer hat Recht? Eine neue Studie könnte zur Klärung beitragen.

 

Streng genommen handelt es sich erst einmal nur um ein Preprint eines Teams um Francesca Augustin als Hauptautorin (1). In dieser Studie führten 30 untrainierte Frauen und Männer Bizepscurls mit der Kurzhantel und Trizepsdrücken am Kabel durch. Der Clou dabei: Während die Probanden mit einem Arm die beiden Übungen betont sauber ausführten, sollten sie mit dem anderen Arm ganz bewusst abfälschen, also die Übungen unsauber ausführen.

 

Was heißt das konkret?

In der Strict-Ausführung lauteten die Vorgaben wie folgt: Der Oberarm bleibt unbeweglich am Torso, der Oberkörper bewegt sich während der Ausführung nicht, die konzentrische Phase beträgt eine Sekunde, die exzentrische Phase zwei Sekunden, keine Bewegung der Hüfte, kein Überstrecken des Halses, Knie bleiben unbeweglich und kein auf die Zehen stellen. Alles, was in irgendeiner Weise Momentum oder Schwung auslöst, war untersagt. Auch bei den Trizeps-Extensions blieb der Oberkörper komplett aufrecht, die Oberarme am Körper, die Ellbogen dicht am Torso und die Schultern in neutraler Position. Bei beiden Übungen erfolgte die Bewegung ausschließlich über das Ellbogengelenk.

 

Bei der Cheat-Ausführung der Curls sollte bewusst Schwung verwendet werden, das heißt, das Gewicht wurde von Anfang an beschleunigt durch eine Bewegung der Hüfte, des Oberarms und mit Hilfe einer Wipp-Bewegung in den Beinen. Beim Trizepsdrücken durften sich die Probanden nach vorne lehnen und die Ellbogen nach außen bewegen, wodurch eine Press-Bewegung entstand.

 

Nach 8 Wochen wurden die Muskelzuwächse gemessen. Und das Ergebnis war, dass beide Methoden zu nahezu identischen Resultaten führten. Weder extrem saubere Technik noch Abfälschen hatte gegenüber der anderen Variante also einen erkennbaren Vor- oder Nachteil. Das war insofern überraschend, als dass die Trainingswissenschaft bisher vermutet hatte, dass strikte Technik bzw. die Vermeidung jeglichen Momentums eigentlich zu besseren Ergebnissen führen müsste (2).

 

Ergebnisvergleich bei sauberer Technik und unsauberer Technik.

 

Wobei, so ganz stimmt das nicht. Tatsächlich gab es bereits eine Studie, die sogar zu dem Schluss kam, dass leichtes Abfälschen zumindest bei einer Übung zu Vorteilen führen sollte – und zwar beim Seitheben. In dieser Studie von Ognjen Arandjelovic (3) wurden allerdings keine Probanden untersucht, sondern es wurde ein physikalisches Bewegungsmodell mit vorhandenen Daten gefüttert. Dabei kam der Autor zu dem Schluss, dass leichtes Abfälschen zu Beginn der Bewegung das Drehmoment auf den Zielmuskel erhöhte und zudem etwas höheres Gewicht ermöglichte, was wiederum das Drehmoment – und damit einhergehend – die mechanische Spannung auf die seitliche Schulter noch weiter erhöhte.

 

Also ja, leichtes Schwungholen beim Seitheben kann durchaus sinnvoll sein. Die Betonung liegt auf leichtes (!) Schwungholen, denn bei exzessiven Einsatz von Momentum werden die beschriebenen Effekte laut dem Autor wieder umgekehrt und die Spannung auf den Zielmuskel nimmt ab. Das sollte auch niemanden wirklich überraschen. Wer beim Seitheben die Gewichte wie wild durch die Gegend  schwingt, wird eher den Nacken als die seitliche Schulter spüren.

 

Was man bedenken sollte

Die Ausführung der Cheat-Gruppe in dem neuen Preprint kann man hingegen durchaus als exzessiven Einsatz von Schwung bezeichnen, trotzdem waren die Ergebnisse nicht schlechter als bei der strikten Ausführung. Bevor sich mancher notorische Egolifter aber bestätigt fühlt, jegliche Technik über Bord zu werfen, sollte man Folgendes bedenken:

 

  1. Es handelt sich bisher nur um eine einzige Studie, genau genommen sogar nur um ein Preprint. Für eine endgültige Aussage ist das noch zu wenig.
  2. Die Ergebnisse waren nicht schlechter als bei sauberer Ausführung, aber eben auch nicht besser. Zudem konnte (oder besser: musste) die Cheat-Gruppe schwerere Gewichte verwenden, womit natürlich Verletzungsgefahr und Verschleiß erheblich zunahmen. Gerade für ältere oder vorbelastete Trainierende sollte das ein wichtiger Faktor sein.
  3. Bei den beiden verwendeten Übungen handelt es sich um relativ simple Isolationsübungen, bei denen nur ein Gelenk wirklich beteiligt ist. Je komplexer eine Übung ist, desto mehr Muskeln sind daran beteiligt und desto einfacher ist es auch, “am Muskel vorbei” zu trainieren. Gerade übermäßiges Abfälschen steigert die Gefahr, den Zielmuskel nicht ausreichend zu belasten also noch einmal deutlich. Deshalb darf bezweifelt werden, dass sich diese Ergebnisse 1 zu 1 auf jede andere Übung übertragen lassen.

 

Ebenso sollte man beachten, dass ein bewusstes Ansteuern der Zielmuskulatur, also die sogenannte Mind-Muscle-Connection in Studien zum Teil bessere Ergebnisse erbrachte als ein reiner Fokus auf die Bewegung, wie wir in diesem Artikel erläutert haben. Das ist insofern relevant, als dass eine saubere Technik oder Übungsausführung den Fokus auf die Zielmuskulatur erheblich erleichtert bzw. überhaupt erst möglich macht.

 

Allerdings sind die genauen Mechanismen für diesen Effekt unklar. Während manche glauben, dass der Fokus zu einem Ausschalten jeglichen Momentums führt (was den Ergebnissen der Studie von Augustin widersprechen würde), halten andere die Aktivierung von Motoneuronen durch den geistigen Fokus für den eigentlichen Grund für die besseren Resultate. Inwiefern dies also den Erkenntnissen der neuen Studie entgegensteht oder nicht, ist aktuell noch durchaus diskutabel.

 

Markus Rühl und Dennis Wolf:
De Maggus hat’s gewusst, schwer und falsch funktioniert!

 

Fazit

Während die Technikdebatte eher was für den Kommentarbereich bei Instagram-Reels ist, stellt sich diese Frage für erfahrene Trainierende meist gar nicht. Zum einen sollte jedem klar sein, dass ein Übermaß an Schwung und Abfälschen nie eine wirklich gute Idee ist. Bodybuilder wissen, dass Gewicht letztlich nur ein Mittel zum Zweck ist und eine ausreichende Belastung des Zielmuskels immer oberste Priorität haben sollte. Und für Powerlifter zeichnet sich eine gute oder saubere Technik immer dadurch aus, dass sie es ermöglicht, effektiv mehr Gewicht zu bewegen und die Regeln des Sports zu erfüllen.

 

Auf der anderen Seite wissen die alten Hasen aber auch, dass die Ausführung einer Übung streng nach Lehrbuch viel zu limitierend wäre, im Grenzbereich die Technik zwangsläufig etwas leidet und hier und da etwas Schwung nicht schadet. Die Wahrheit liegt also wie so oft in der Mitte der beiden Extreme.

 

Wenn du Gewichte nur durch grottigste Technik und erheblichen Schwung bewegen kannst, dann sind diese einfach zu schwer für dich und du wirst recht schnell stagnieren oder dich verletzen. Andererseits kann aber auch niemand die 60 Kilo schweren Techniknazis leiden, die bei jeder Form des Abfälschens oder Abweichens vom Lehrbuch gleich Zeter und Mordio schreien und kübelweise Häme ausschütten. Es spricht absolut nichts dagegen, bei den letzten Reps einer Übung noch mal ein bisschen Schwung zu holen oder leichte Einbußen in Sachen Technik in Kauf zu nehmen, um wirklich bis an die Grenze zu gehen. Perfekte Technik und wirklich hartes Training sind nun mal ein Widerspruch in sich. Also versuche am besten einfach, möglichst sauber zu trainieren, solange es eben geht, und wenn es nicht mehr geht, dann cheatest du eben ein bisschen, das wäre zumindest mein Rat.

 

Aber wie siehst du das? Welche Rolle spielt eine saubere Technik in deinem Training? Verrate es uns hier!

 

Quellen:

  1. Augustin et al. (2024): Do cheaters prosper? Effect of externally supplied momentum during resistance training on measures of upper body muscle hypertrophy
  2. Korakakis et al. (2023): Optimizing Resistance Training Technique to Maximize Muscle Hypertrophy: A Narrative Review
  3. Arandjelovic (2013): Does cheating pay: the role of externally supplied momentum on muscular force in resistance exercise
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